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Verfassungsbeschwerde - Cécile Lecomte

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Lüneburg, 25.09.10<br />

<strong>Cécile</strong> <strong>Lecomte</strong> – Uelzener Strasse 112f – 21335 Lüneburg<br />

(N.B. die Absenderin kann keinen Fax empfangen)<br />

An:<br />

Bundesverfassungsgericht<br />

Schlossbezirk 3<br />

76131 Karlsruhe<br />

Fax: 0721/9101-382<br />

aufgrund eines Strafverfahrens gegen mich<br />

wegen Verstoß gegen<br />

<strong>Verfassungsbeschwerde</strong><br />

Artikel 103 Absatz 1 GG (Anspruch auf rechtliches Gehör )<br />

Artikel 103 Absatz 2 GG (Analogieverbot ,Rechtssicherheit, Bestimmtheit des<br />

Gesetzes)<br />

Artikel 8 GG (Versammlungsfreiheit)<br />

Sehr geehrte Damen und Herren,<br />

hiermit lege ich, <strong>Cécile</strong> <strong>Lecomte</strong>, <strong>Verfassungsbeschwerde</strong> gegen<br />

ein.<br />

1. das Urteil des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 15.04.2010, Az.6140 Js 201451/09<br />

2. den Beschluss des Landgerichts Frankfurt am Main vom 24.08.2010 Az. - 5/24 Ns -<br />

6140 Js 201451/09 (57/10) - vom zugestellt am 1. September 2010


I.<br />

Zur Zulässigkeit der <strong>Verfassungsbeschwerde</strong>:<br />

Da ich nach § 90, Absatz 2 BVerfGG<br />

Ist gegen die Verletzung der Rechtsweg zulässig, so kann die <strong>Verfassungsbeschwerde</strong> erst<br />

nach Erschöpfung des Rechtswegs erhoben werden. Das Bundesverfassungsgericht kann<br />

jedoch über eine vor Erschöpfung des Rechtswegs eingelegte <strong>Verfassungsbeschwerde</strong> sofort<br />

entscheiden, wenn sie von allgemeiner Bedeutung ist oder wenn dem Beschwerdeführer ein<br />

schwerer und unabwendbarer Nachteil entstünde, falls er zunächst auf den Rechtsweg<br />

verwiesen würde.<br />

verpflichtet bin, den Rechtsweg voll auszuschöpfen, läuft derzeit noch eine Anhörungsrüge am<br />

Landgericht Frankfurt am Main.<br />

Sollte dies dazu führen, dass die <strong>Verfassungsbeschwerde</strong> noch nicht angenommen werden kann,<br />

bitte ich als juristischer Laie um eine Mitteilung darüber, wie ich dennoch die Frist zur Einreichung<br />

der <strong>Verfassungsbeschwerde</strong> nach § 93, Absatz 1 BVerfGG<br />

Die <strong>Verfassungsbeschwerde</strong> ist binnen eines Monats zu erheben und zu begründen. Die Frist<br />

beginnt mit der Zustellung oder formlosen Mitteilung der in vollständiger Form abgefaßten<br />

Entscheidung, wenn diese nach den maßgebenden verfahrensrechtlichen Vorschriften von<br />

Amts wegen vorzunehmen ist. In anderen Fällen beginnt die Frist mit der Verkündung der<br />

Entscheidung oder, wenn diese nicht zu verkünden ist, mit ihrer sonstigen Bekanntgabe an<br />

den Beschwerdeführer; wird dabei dem Beschwerdeführer eine Abschrift der Entscheidung<br />

in vollständiger Form nicht erteilt, so wird die Frist des Satzes 1 dadurch unterbrochen, daß<br />

der Beschwerdeführer schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle die Erteilung einer<br />

in vollständiger Form abgefaßten Entscheidung beantragt. Die Unterbrechung dauert fort,<br />

bis die Entscheidung in vollständiger Form dem Beschwerdeführer von dem Gericht erteilt<br />

oder von Amts wegen oder von einem an dem Verfahren Beteiligten zugestellt wird.<br />

einhalten kann.<br />

Sollte die <strong>Verfassungsbeschwerde</strong> nach Entscheidung über die Anhörungsrüge vom 2. September<br />

2010 aufgrund des Fristablaufs nicht mehr angenommen werden können, würde mir ein schwerer<br />

und unabwendbarer Nachteil entstehen, falls ich zunächst auf den Rechtsweg verwiesen würde.<br />

Damit wäre meine <strong>Verfassungsbeschwerde</strong> in diesem Falle sofort zur Entscheidung anzunehmen.<br />

Grundsätzlich ist die Beschwerde ist nach § 93a BVerfGG in jedem Fall zur Entscheidung<br />

anzunehmen, da ich durch die genannten Urteile sowie den zugehörigen Verwaltungsakt in<br />

mehreren meiner Grundrechte und weiteren grundrechtsgleichen Rechten verletzt wurde.<br />

Ich wurde durch das Amtsgericht Frankfurt am Main zu einer Geldstrafe von 15 Tagessätzen zu je 8<br />

Euro verurteilt. Ich habe darauf hin einen begründeten Antrag auf Annahme der Berufung eingelegt.<br />

Revision konnte ich nicht einlegen, weil die Staatsanwaltschaft zunächst Berufung einlegte und<br />

mein Rechtsanwalt vor Ablauf der Revisionbegründungsfrist die Strafakte vom Gericht nicht<br />

zugeschickt bekam. Ohne diese Strafakte ist keine Revisionsbegründung möglich. Mein Anwalt<br />

schrieb dazu:<br />

„... Schriftsatz vom 19.04.2010 legte die Angeklagte über ihren Verteidiger Rechtsmittel gegen<br />

das Urteil des Amtsgerichtes Frankfurt am Main vom 15.04.2010 ein. Zugleich bean-


tragte sie, mit Zustellung der schriftlichen Urteilsgründe vollständige Akteneinsicht zu gewähren.<br />

Mit Schreiben vom 09.06.2010 wies die Angeklagte darauf hin, dass ihr inzwischen<br />

das Urteil zugestellt worden sei. Der Antrag vom 19.04.2010 sei allerdings noch nicht erledigt<br />

worden. Erneut werde beantragt, möglichst umgehend vollständige Akteneinsicht zu gewähren.<br />

Mit Schriftsatz vom 14.06.2010 wies die Angeklagte darauf hin, dass das Rechtsmittel<br />

nach Gewährung vollständiger Akteneinsicht bezeichnet und ausführlich begründet<br />

werden solle. Mit Schriftsatz vom 21.06.2010 wurde darauf hingewiesen, dass noch immer<br />

keine Akteneinsicht gewährt worden sei. Dementsprechend sei es der Verteidigung nicht<br />

möglich, das Rechtsmittel zu bezeichnen und ausführlich zu begründen. Es werde darum<br />

gebeten, unverzüglich vollständige Akteneinsicht zu gewähren. Die Hinderungsgründe sollten<br />

umgehend mitgeteilt werden.<br />

Das Schreiben vom 21.06.2010 ist im Hinblick auf die ablaufende Revisionsbegründungsfrist<br />

als Eilsache gekennzeichnet worden. Außerdem wurde das Schreiben vom<br />

21.06.2010 am 30.06.2010 und am 03.07.2010 sowie nochmals am 05.07.2010 mit den<br />

weiteren genannten Schriftstücken an das Amtsgericht Frankfurt am Main übersandt.<br />

Am 01.07.2010 und am 02.07.2010 ist außerdem der Versuch unternommen worden, fernmündlich<br />

zu klären, warum bislang keine Akteneinsicht gewährt worden ist. Am 01.07.2010<br />

hieß es, die Akten seien am 02.06.2010 an die Staatsanwaltschaft versandt worden. Eine<br />

Frau Richter habe die Akten erneut zum Amtsgericht geschickt. Es wurde angeregt, nochmals<br />

beim Amtsgericht anzurufen. Es könne nicht sein, dass die Frist am 07.07.2010 ablaufe.<br />

Am 02.07.2010 verlautbarte das Amtsgericht, das Amtsgericht solle nochmals angeschrieben<br />

werden. Die zuständigen Mitarbeiter des Amtsgerichtes seien nicht in der Lage,<br />

verlässliche Informationen zu erteilen.<br />

Das Rechtsmittel muss unter diesen Umständen als<br />

B e r u f u n g<br />

geführt werden, weil die Begründung einer Revision durch Nichtgewährung der mehrmals<br />

begehrten Akteneinsicht seitens der Jutizverwaltung (Amtsgericht und Staatsanwaltschaft in<br />

Frankfurt) unmöglich gemacht worden ist. Nach § 313 StPO darf unter diesen Umständen<br />

nicht verfahren werden. Die Berufung ist nicht annahmepflichtig, weil im Falle der Gewährung<br />

der Akteneinsicht eine Sprungrevision erhoben worden wäre. ...“ (Schriftsatz meines<br />

Verteidigers vom 06.07.2010 anbei).<br />

Das Landgericht lehnte trotz ausführlicher Begründung meinen Antrag auf Annahme der Berufung,<br />

der Beschluss ist unanfechtbar. Ich habe somit alle Rechtsmittel ausgeschöpft.. Sofern die<br />

Anhörungsrüge erfolglos verläuft, habe ich deshalb keine Gelegenheit mehr, die<br />

Grundrechtsverletzungen zu beseitigen oder auf anderem rechtlich möglichem Weg ohne Inanspruchnahme<br />

des Bundesverfassungsgerichts das selbe zu erreichen.<br />

Die Beschwerde ist auch begründet.<br />

Aufgrund der derzeit noch fehlenden Entscheidung über die Anhörungsrüge behalte ich mir vor<br />

weitere Schriftsätze und Ergänzungen zur <strong>Verfassungsbeschwerde</strong> nachzureichen.<br />

Meine <strong>Verfassungsbeschwerde</strong> richtet sich zum einen gegen die Verletzung meines Grundrechtes<br />

auf rechtlichen Gehör. Diese Verletzung wurde bereits in einer Anhörungsrüge angeprangert und<br />

II.


wird nun ausführlich dargestellt. Die Gerichte verletzten zudem ihre Berücksichtigungspflicht<br />

mehrfach, indem sie das Vorgebrachte zum Teil keinerlei Berücksichtigung zuführten und keine<br />

Abwägung durchführten. Sowohl im Urteil des Amtsgerichts als auch im Beschluss vom<br />

Landgericht sind keinerlei Feststellungen zu den von der Verteidigung dargestellten<br />

Verfahrenshindernisse zu finden. Auf die durch Beweisanträge in der Hauptverhandlung vor dem<br />

Amtsgericht dargelegte Argumentation der Verteidigung (rechtfertigender Notstand und<br />

Versammlungsfreiheit) gehen die Gerichte ebenfalls mit keinem Wort in Ihren Entscheidungen<br />

(Urteil und Beschluss) ein.<br />

Zudem erhebe ich <strong>Verfassungsbeschwerde</strong> weil meine Verurteilung wegen Nötigung des zur Tatzeit<br />

nicht anwesenden Fahrers der Baumerntemaschine (also ein nicht anwesendes - vielleicht - Opfer)<br />

eine abermalige Ausweitung des Gewaltbegriffs in § 240 Abs. 1 StGB darstellt und gegen das<br />

Analogieverbot aus Art. 103 Abs. 2 GG verstoßt. Daraus ergibt sich ein Verstoß gegen das Gebot<br />

des allgemeinen Gleichheitssatzes.<br />

Schließlich bin ich als <strong>Verfassungsbeschwerde</strong>führerin der Auffassung, dass mit den gerichtlichen<br />

Entscheidungen gegen mein Grundrecht auf Versammlungsfreiheit verstoßen wurde.<br />

Die <strong>Verfassungsbeschwerde</strong>führerin beantragt, das Urteil des Amtsgerichts Frankfurt am<br />

Main und den Beschluss des Landgerichts Frankfurt am Main aufgrund der<br />

verfassungsrechtlichen Mängel aufzuheben.<br />

III.<br />

Hintergründe zum Geschehen:<br />

(Fall 1) Von Mai 2008 bis Februar 2009 befand sich im öffentlichen Wald der Stadt Kelsterbach ein<br />

Widerstandsdorf, in dem verschiedenste GegenerInnen des Flughafenausbaus lebten und gegen den<br />

Bau der neuen Landebahn und die damit einhergehende Rodung des bis dahin besonders<br />

geschützten Bannwaldes demonstrierten. Die Zahl der BewohnerInnen des Widerstandsdorfes, die<br />

in dieser Zeit ihr Versammlungsrecht wahrnahmen, schwankte meist zwischen 20 und 60 Personen.<br />

Auch wenn der Bürgermeister der Stadt Kelsterbach dem Widerstandsdorf eher kritisch<br />

gegenüberstand, war der Protest doch geduldet und von vielen Kelsterbacher BürgerInnen<br />

unterstützt. Auch das Arbeitsamt Rüsselsheim akzeptierte die Anschrift im Widerstandsdorf<br />

(Widerstandsdorf gegen den Flughafenausbau, neben dem Pflanzgarten, Gelbe Grundschneise,<br />

65451 Kelsterbach) als Adresse. Die <strong>Verfassungsbeschwerde</strong>führerin wohnte nicht die ganze Zeit<br />

im Widerstandsdorf, weil sie in Lüneburg – wo sie gemeldet ist – in dieser Zeit berufliche Termine<br />

wahr nehmen musste. Andere Betroffenen, gaben tatsächlich ihre Adresse im Widerstandsdorf an,<br />

was von den Behörden angenommen wurde. Eine der Betroffenen, Franziska Wittig, war<br />

beispielsweise ab dem Oktober 2008 bis Ende Februar 2009 beim Arbeitsamt Rüsselsheim unter der<br />

angegebenen Adresse gemeldet und hatte dementsprechend auch dem Amt gegenüber die Pflicht<br />

dort erreichbar zu sein.<br />

Ab Ende Januar wurde das Widerstandsdorf zum Teil umzäunt und ständig mit Flutlicht beleuchtet.<br />

Die Generatoren zum Betrieb der Flutlichtmasten raubten vielen BewohnerInnen nachts den Schlaf.<br />

PolizeibeamtInnen filmten und fotografierten die Dorfbewohner und ihren Alltag. Der Eingang des<br />

Dorfes war ab da häufig von BeamtInnen bewacht. Oft wurden die Personalien der passierenden<br />

BewohnerInnen und BesucherInnen überprüft und ihre Taschen durchsucht. Meist durften<br />

Zahnbürsten, Schlafsäcke und andere wichtige Dinge nicht mit hineingebracht werden. In dieser<br />

Zeit fanden im Wald um das Camp herum und an zahlreichen anderen Orten viele weitere<br />

Versammlungen statt, die aufgrund der beginnenden Rodung wachsenden Zulauf erhielten. Zugleich<br />

trauten sich aber viele BewohnerInnen des Widerstandsdorfes nicht mehr, dieses zu verlassen, da sie<br />

befürchten mussten aus häufig unbekannten Gründen nicht mehr hineingelassen werden oder sogar


Platzverweise oder Aufenthaltsverbote zu erhalten. Zugleich bekamen die BewohnerInnen des<br />

Widerstandsdorfes täglich mit, dass die Rodungsarbeiten im Wald immer näher am Widerstandsdorf<br />

stattfanden. Ihnen entstand der Eindruck, dass ihr Protest ebenso wirkungslos sei wie die<br />

zahlreichen Klagen der Gemeinden und Naturschutzverbände. Deshalb führte die Betroffene bereits<br />

am 23. Januar 2009 eine öffentlichkeitswirksame Protestaktion im Wald der Stadt Kelsterbach<br />

durch. Zusammen mit acht weiteren DemonstrantInnen besetzte sie eine Baumerntemaschine<br />

(Harvester) im Wald. Die Besetzung dauerte zwei Stunden an. Presse war eingeladen worden und<br />

begleitete die Aktion, durch Parolen und Liedern erläuterten die Beteiligten das Anliegen ihrer<br />

Demonstration. In der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht bekundeten die geladenen Polizeizeugen,<br />

dass der Fahrer der Baumerntemaschine in der Mittagspause war, als die Maschine von<br />

den DemonstrantInnen besetzt wurde (dazu mein Beweisantrag 11 vom 15.04.2010 in Kopie anbei).<br />

(Fall 2) Am 11. Februar 2009 befand sich die Betroffene im Widerstandsdorf. Mehrere dort lebende<br />

AktivistInnen überlegten gemeinsam mit anderen, die zu Besuch waren, wie die Öffentlichkeit auf<br />

die akuten Fällarbeiten aufmerksam gemacht werden könne. Da sich viele ausgebildete<br />

AktionsklettererInnen unter ihnen befanden, beschlossen sie spontan eine Kletteraktion auf Bäumen<br />

in der Nähe eines bereits gerodeten Bereiches zu machen. Mit Unterstützung mehrerer anderer<br />

DorfbewohnerInnen verließen die Betroffene und zwei weitere Personen das Camp und kletterten<br />

auf Bäume, um sich dort zu versammeln, dort Banner zu schwenken und Protest-Lieder zu singen.<br />

Währenddessen informierten andere vom Camp aus die Presse, die lange nicht zu den Betroffenen<br />

durchgelassen wurde, obwohl die Demonstration im öffentlichen Wald der Stadt Kelsterbach<br />

stattfand. Außer einer Hängematte, etwas Nüssen und Schokolade, Telefon und Funkgerät, der<br />

Kletterausrüstung sowie einiger persönlicher Habseligkeiten hatte die Betroffene nichts dabei, da<br />

sie beabsichtigte den Baum am Abend wieder zu verlassen. Nach einiger Zeit tauchten unterhalb<br />

der Bäume eine Hebebühne, zwei Krankenwagen und PolizeibeamtInnen mit verschiedenfarbigen<br />

Uniformen auf. Für die Betroffene war es sehr schwierig, dies zu verfolgen. Sie befand sich auf<br />

geschätzten 10 bis 15 Metern Höhe und musste sich stark auf das Klettern konzentrieren, da davon<br />

schließlich ihre Sicherheit abhing. Die Versammlung wurde nicht aufgelöst. Die DemonstrantInnen<br />

wurden vom SEK trotzdem herunter geholt.<br />

(Fall 3) Die dritte Handlung, die Gegenstand der angegriffenen Entscheidung war, war das<br />

Beklettern der Innendachs des Frankfurter Hauptbahnhofs im Hallenbereich. Die Beschwerdeführerin<br />

ist leidenschaftliche professionelle Kletterin und wollte den Bahnhof aus einer anderen<br />

Perskepektiv erkunden. Schließlich gebe es ja kein Gesetzt, was den Menschen vorschreiben würde,<br />

sich ausschließlich horizontal zu bewegen, in der Hausordnung der Bahn stünde auch nichts von<br />

einem Kletterverbot.<br />

Die bisher erwähnten Ereignisse sind zum größten Teil für die Prüfung der Verfassungswidrigkeit<br />

nicht entscheidend - wurden aber hier erwähnt, damit ein vollständiges Bild der Situation entstehen<br />

kann.<br />

Gründe:<br />

IV.<br />

Die <strong>Verfassungsbeschwerde</strong> betrifft ein Urteil und einen Beschluss. Diese Entscheidungen werden<br />

mit der vorliegenden Beschwerde angefochten, da sie verfassungsrelevante Rechtsfehler enthalten,<br />

nämlich mich in meinen Grundrechten einschränken. Die meisten der im folgenden genannten<br />

Gründe reichen aus meiner Sicht jeweils schon für sich allein aus, um den jeweiligen Beschluss<br />

aufzuheben. Gegebenenfalls muss in der Folge ein neues Verfahren angeordnet werden.<br />

Die folgenden Gründe benennen die verfassungswidrigen Bestandteile des Urteils vom Amtsgericht


und des Beschlusses vom Landgericht gegen mich. Da es unter anderem um die Verletzung des<br />

rechtlichen Gehörs geht, wären das Urteil vom Amtsgericht und der Beschluss vom Landgericht<br />

ohne die verfassungsrechtlichen Fehler nicht zustande gekommen. Die geltend gemachten Punkte<br />

dieser <strong>Verfassungsbeschwerde</strong> sind also für mich von erheblicher Bedeutung.<br />

1. Artikel 103 Absatz 1 GG (Anspruch auf rechtliches Gehör )<br />

Am 2. September, nach der Ablehnung der Annahme ihrer Berufung durch das Landgericht erhob<br />

die <strong>Verfassungsbeschwerde</strong>führerin eine Anhörungsrüge vor dem Landgericht.<br />

Die Anhörungsrüge richtete sich gegen den Beschluss des Landgerichtes Frankfurt am Main vom<br />

24.08.2010, eingegangen am 01.09.2010. Es wurde beantragt, das Verfahren durch Beschluss in die<br />

Lage zurück zu versetzen, die vor Erlass des Beschlusses vom 24.08.2010 bestand.<br />

Dies wurde mit einem Verstoß gegen Artikel 103 Absatz 1 GG begründet. Das Urteil vom<br />

Amtsgericht und der Beschluss vom Landgericht beruhen auf eine Verletzung des rechtlichen<br />

Gehörs. Der Anwalt der Beschwerdeführerin wies bereits in einer Anhörungsrüge auf diesen<br />

Verstoß:<br />

„... Zurecht weist die Angeklagte darauf hin, dass das Landgericht Frankfurt am Main mit<br />

der Berufungsentscheidung den Anspruch der Angeklagten auf rechtliches Gehör in<br />

entscheidungserheblicher Weise verletzte.<br />

Zur Rechtfertigung dieser Ansicht bezieht sich die Angeklagte auf den Inhalt des<br />

Schriftsatzes vom 06.07.2010. Ergänzend wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen.<br />

Im Schriftsatz vom 06.07.2010 legte die Angeklagte über ihren Verteidiger ausführlich dar,<br />

warum das Rechtsmittel als Berufung geführt werden musste. Dies lag ausschließlich daran,<br />

dass dem Verteidiger der Angeklagten nach Zustellung des schriftlichen Urteils innerhalb<br />

der Revisionsbegründungsfrist keine Akteneinsicht gewährt worden ist.<br />

Die Berufung war deshalb nicht annahmepflichtig. Die Angeklagte hätte nämlich im Falle<br />

der Gewährung der Akteneinsicht eine Sprungrevision erhoben. Diese wäre zulässig<br />

gewesen, weil die Staatsanwaltschaft die von ihr eingelegte Berufung zwischenzeitlich<br />

zurücknahm.<br />

Die diesbezüglichen tatsächlichen Umstände ließ das Landgericht Frankfurt am Main im<br />

Beschluss vom 24.08.2010 unbeachtet. Das Landgericht Frankfurt stellte lediglich darauf<br />

ab, dass die Angeklagte zu einer Geldstrafe von nicht mehr als 15 Tagessätzen verurteilt<br />

worden sei. Mit den tatsächlichen rechtlichen Einwendungen der Beklagten gegen eine<br />

Verfahrensweise nach § 313 StPO befasste sich das Landgericht Frankfurt nicht.<br />

Unzulässig war eine Entscheidung nach § 313 StPO weiterhin, weil die Angeklagte in ihrem<br />

Schriftsatz vom 06.07.2010 ankündigte, im Berufungsverfahren weitere Beweisanträge<br />

stellen zu wollen. Auch dies berücksichtigte das Landgericht Frankfurt im Beschluss vom<br />

24.08.2010 nicht, obwohl die Angeklagte gar die Beweisthemen der zustellenden<br />

Beweisanträge darstellte.<br />

Nach der Ankündigung neuer Beweismittel darf die Annahme der Berufung nur abgelehnt<br />

werden, wenn an der Richtigkeit der bisherigen Feststellungen vernünftigerweise kein<br />

Zweifel bestehen kann (Meyer-Goßner Strafprozessordnung, 53. Auflage, Rz.9 zu § 313).<br />

Davon, dass an der Richtigkeit der bisherigen Feststellungen vernünftigerweise kein Zweifel<br />

bestehen kann, kann keine Rede sein. Dies wird auch im Beschluss vom 24.08.2010 nicht<br />

dargelegt. Zweifel an der Richtigkeit der bisherigen Feststellungen bestehen schon deshalb,<br />

weil z.B. der Baggerfahrer bzw. Harvesterführer, der angeblich genötigt worden sein soll, in<br />

der Hauptverhandlung als Zeuge nicht gehört worden ist. Nur er hätte bestätigen können,<br />

dass überhaupt einen Nötigungserfolg eingetreten ist oder hätte eintreten können.<br />

Schließlich nahm das Landgericht Frankfurt die ausführlich dargelegten tatsächlichen und


echtlichen Einwendungen gegen die Zulässigkeit des Verfahrens nicht zur Kenntnis. Soweit<br />

der Angeklagten Antragsdelikte zur Last gelegt worden sind, steht praktisch fest, dass keine<br />

ordnungsgemäßen Strafanträge gestellt worden sind.<br />

Dass die von der Angeklagten insoweit vorgetragenen tatsächlichen und rechtlichen<br />

Gesichtspunkte unrichtig sein könnten, lässt sich dem Beschluss vom 24.08.2010 nicht<br />

entnehmen.<br />

Die Berufung ist daher keinesfalls offensichtlich unbegründet. ...“ (Schriftsatz des<br />

Verteidigers vom 02.09.2010 anbei).<br />

Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs liegt zudem darin, dass das Amtsgericht in seinem Urteil,<br />

wesentliche von mir und der Verteidigung vorgebrachte Ausführungen weder zur Kenntnis<br />

genommen noch in Erwägung gezogen hat. Diesen Verstoß setzte das Landgericht fort, indem es die<br />

Annahme meiner Berufung ohne detaillierte Begründung ablehnte.<br />

Mein Anwalt trug vor, es stünde praktisch fest, dass keine ordnungsgemäßen Strafanträge gestellt<br />

worden sind und beantragte in der Hauptverhandlung die Einstellung des Verfahrens wegen<br />

Verfahrenshindernisses nach § 206a I StPO und § 269 StPO.<br />

Auszug aus dem Protokoll wo es um das Plädoyer des Verteidigers geht (Bl. 371 der Akte,<br />

Protokoll vom 14.04.2010):<br />

Tat 1.: Freispruch,<br />

Tat 2.: Einstellung nach § 260 Absatz 3 StPO,<br />

Tat 3.: Einstellung nach § 260 Absatz 3 StPO<br />

Dasselbe trug mein Verteidiger sehr ausführlich in seinem Begründungsschreiben für die<br />

Annahmebrufung vor.<br />

Auszug aus dem Begründungsschreiben<br />

„... 1.<br />

Soweit das Amtsgericht Frankfurt am Main die Angeklagte wegen Hausfriedensbruchs in<br />

drei Fällen verurteilte, hätte das Verfahren gemäß § 206a I StPO durch Beschluss<br />

eingestellt werden müssen. In allen drei Fällen liegt ein wirksam gestellter Strafantrag nicht<br />

vor. Die nach §§ 123 II, 77 I StGB erforderlichen Strafanträge sind<br />

Prozessvoraussetzungen. Fehlt der Strafantrag und kann dieser auch nicht mehr nachgeholt<br />

werden, liegt ein Verfahrenshindernis vor, weshalb nach § 206a I StPO verfahren werden<br />

muss. ...“ (Schriftsatz meines Verteidigers vom 06.07.2010 anbei)<br />

Es folgte eine sehr ausführliche Begründung bestehend aus 13 weiteren Punkten (Siehe Schreiben<br />

meines Verteidigers vom 06.07.2010 anbei).<br />

Sowohl das Amtsgericht als auch das Landgericht Frankfurt am Main nahmen die ausführlich<br />

dargelegten tatsächlichen und rechtlichen Einwendungen gegen die Zulässigkeit des Verfahrens<br />

nicht zur Kenntnis.<br />

Ich bezog mich als <strong>Verfassungsbeschwerde</strong>führerin in der Hauptverhandlung auf die<br />

Versammlungsfreiheit. Dies trug ich in Form von Beweisanträgen vor. Hier als Beispiel mein<br />

Beweisantrag Nummer 12 zum Themenkomplex Versammlung:<br />

Der Antrag wurde am 15.4.2010 gestellt (Bl. 367):


Die Angeklagte stellt den 12. Beweisantrag und verliest diesen sodann. Dieser Beweisantrag<br />

wurde ebenfalls als Anlage zum Protokoll genommen.<br />

Der Antrag hatte folgendem Wortlaut:<br />

Zu Beweisende Tatsache:<br />

An der Versammlung von 11.2.2009 nahmen 6 Personen teil, die gegen Rodungen im<br />

Kelsterbacher Wald protestierten.<br />

Beweismittel:<br />

POK Franke zu laden über BFE, Wiesbadener Str. 99 , 55252 Mainz-Kastel (Bl. 83 Akte)<br />

Begründung: Der Zeuge war von vorne rein zu Beginn der Versammlung anwesend und<br />

kann bezeugen, dass es 6 Versammlungsteilnehmer gab.<br />

Die Relevanz ergibt sich aus dem von mir bereits zitierten BGH-Urteil.<br />

Diese Beweisanträge wurden zum Teil durch Wahrunterstellung abgelehnt - für den Beweisantrag<br />

12 war es der Fall:<br />

Beschluss aus dem Protokoll Bl.367 der Akte<br />

b.u.v.<br />

Der Beweisantrag Nummer 12 wird abgelehnt, die Tatsache kann als wahr unterstellt<br />

werden ( § 244 Absatz 3 StPO).<br />

Auf diese durch Wahrunterstellung abgelehnte Anträgen basierte ein Teil meines Plädoyers. Mein<br />

Anwalt stützte sein Plädoyer ebenfalls zum Teil auf das Versammlungsesetz.<br />

Diese Ausführungen wurden allerdings vom Gericht in seiner Entscheidung überhaupt nicht<br />

erwogen. Im Urteil ist kein einziges mal das Wort "Versammlung" zu finden.<br />

Das Landgericht setzte diesen Grundrechteverstoß fort, indem es sich überhaupt nicht mit den im<br />

Berufungsbegründungsschreiben von der Verteidigung gemachten Ausführungen auseinandersetzte.<br />

Die Ausführungen hatten folgendem Wortlaut<br />

„.... Abschließend weist die Angeklagte darauf hin, dass das angefochtene Urteil sowohl in<br />

versammlungsrechtlicher als auch in verfassungsrechtlicher Hinsicht keinen Bestand haben<br />

kann. Soweit es um die Protestversammlungen auf dem Gelände des Kelsterbacher Waldes<br />

geht, waren diese Versammlungen durch das Grundrecht, sich friedlich unter freiem Himmel<br />

zu versammeln gedeckt (Art. 8 GG). Auf die politischen Inhalte und den<br />

versammlungsrechtlichen Charakter ihrer Handlungen wies die Angeklagte in mehreren<br />

Beweisanträgen hin und sie wird diese Beweisanträge in der Berufungshauptbehandlung<br />

wiederholen. Der Tatrichter setzt sich in den Gründen des angefochtenen Urteils mit den<br />

diesbezüglichen versammlungsrechtlichen und verfassungsrechtlichen Fragen überhaupt<br />

nicht auseinander. ...“ (Schriftsatz meines Verteidigers vom 06.07.2010 anbei).<br />

In seinem Beschluss nimmt das Landgericht diese Ausführungen nicht zum Kenntnis.<br />

Ich bezog mich als <strong>Verfassungsbeschwerde</strong>führerin in der Hauptverhandlung zudem auf den<br />

rechtfertigenden Notstand. Zu diesem Vorbringen sind im Urteil ebenfalls keinerlei Feststellungen<br />

zu finden. Meine Ausführungen zum rechtfertigenden Notstand trug ich in der Form von<br />

Beweisanträgen vor:


Als Beispiel, ein Beweisantrag zu rechtfertigenden Notstand (es gab insgesamt 7 Beweistanträge zu<br />

diesem Themenkomplex)<br />

Der Beweisantrag 13 wurde in der Sitzung am 15.4.2010 gestellt, Auszug aus dem Protokoll Bl. 367<br />

Die Angeklagte stellt den 13. Beweisantrag und verliest diesen. Dieser Antrag wurde<br />

ebenfalls als Anlage zum Protokoll genommen.<br />

Der Beweisantrag 13 hatte folgendem Wortlaut (Auszug):<br />

Zu beweisende Tatsache:<br />

Fluglärm erhöht das Risiko für Herz-Kreislaufleiden und Krebserkrankungen wesentlich<br />

Durch den Flughafenausbau wird das Flulärmproblem immer stärker, die Gesundheit von<br />

zusätzlichen Menschen wird gefährdet.<br />

Beweismittel:<br />

Sachverständiger Bremer Arzt und Epidemiologe Eberhard Greiser. Er hat im Auftrag des<br />

Umweltbundesamts eine Studie über die gesundheitlichen Folgen von Fluglärm erstellt.<br />

Es folgte eine ausführliche schriftliche Begründung.<br />

Zur Relevanz meines Antrages für das Verfahren verwies ich ausdrücklich auf den recht-fertigenden<br />

Notstand:<br />

Weiteres Zitat aus dem Beweisantrag 13:<br />

Relevanz<br />

Dies ist wichtig für den Ausgang des Verfahrens, weil – sofern das Gericht trotz der dem<br />

widersprechenden Beweislage annimmt, dass die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft was den<br />

Tathergang angeht stimmen – zu prüfen ist, ob ein rechtfertigender Notstand vorliegt. Im<br />

Zuge dieser Prüfung ist festzustellen, ob der Flughafenausbau Gefahren für das Leben und<br />

die körperliche Unversehrtheit mit sich bringt.<br />

Die oben erwähnte Studie betrifft zwar die Umgebung des Flughafens Köln/Bonn, aber es<br />

ist davon auszugehen, dass Fluglärm überall die gleiche Auswirkungen auf die Gesundheit<br />

hat. Die Studie und die Aussage des Sachverständigers sind somit auf dem Flughafen<br />

Frankfurt am Main übertragbar.<br />

Diese Beweisanträge wurden zum großen Teil durch Wahrunterstellung abgelehnt.<br />

Beschluss aus dem Protokoll Bl. 369<br />

b.u.v.<br />

Bezüglich des Beweisantrages Nummer 13 wird die Beweiserhebung gemäß §4 2 Absatz 3<br />

abgelehnt, da dieser als wahr behandelt werden kann. Im Weiteren ist der Antrag als<br />

ungeeignet zu sehen.<br />

Auf diese durch Wahrunterstellung abgelehnten Anträgen stütze ich einen Teil meines Plädoyers.<br />

Diese Ausführungen wurden allerdings vom Gericht in seiner Entscheidung überhaupt nicht<br />

erwogen. Im Urteil ist kein einziges mal das Wort "rechtfertigender Notstand" zu finden.<br />

Dies (alle drei Punkten) widerspricht dem grundrechtgleichen Recht auf rechtliches Gehör:<br />

In der Kommentarliteratur ist Folgendes zu finden:


Die Verpflichtung zur »Berücksichtigung« bedeutet, daß das Gericht die Äußerung zur<br />

Kenntnis nehmen und bei seiner Entscheidung ernsthaft in Erwägung ziehen muß (BverfGE<br />

5, 22, 24 ff.; 11, 218, 220; 18, 380, 383; 21, 46, 48; 21, 102, 103 L; 22, 267; 36, 92, 97; 36,<br />

298, 301; 40, 101, 104; 42, 364, 367 L; 54, 140, 142; 55, 95). Da nur die Begründung<br />

erkennen läßt, ob das Gericht dieser Verpflichtung nachgekommen ist, ergibt sich daraus<br />

eine verfassungsrechtliche Pflicht zur Begründung richterlicher Entscheidungen<br />

(BverfGE a.a.0.) unabhängig davon, daß diese auch zu deren Legitimierung im<br />

demokratischen Rechtsstaat und zur Ermöglichung der Kontrolle durch das<br />

Rechtsmittelgericht unumgänglich ist (...). (Rudolf Wassermann u.a. (1984): Kommentar<br />

zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland. Band 2, Art. 21-146, S. 1211.<br />

Luchterhand Verlag)<br />

Dem Kommentar von Rudolf Wassermann zufolge hätten das Amtsgericht und das Landgericht die<br />

Argumente jedoch berücksichtigen müssen:<br />

In einer dritten Stufe schließlich verpflichtet die Verfassungsnorm das Gericht, das<br />

Vorbringen »in Erwägung zu ziehen«, d.h. sich mit ihm auseinander zu setzen, soweit es für<br />

die Entscheidung wesentlich ist (»Berücksichtigungspflicht«). (Rudolf Wassermann u.a.<br />

(1984): Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland. Band 2, Art. 21-<br />

146, S. 1207. Luchterhand Verlag)<br />

Auch das Bundesverfassungsgericht entschied bereits in diesem Sinne :<br />

Das Recht auf Gehör gibt den Verfahrensberechtigten das Recht darauf, daß sie Gelegenheit<br />

erhalten, sich zu dem einer gerichtlichen Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt zu<br />

äußern; dem entspringt die Pflicht des Gerichts, die Ausführungen der Beteiligten bei seiner<br />

Entscheidung zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (...). (BVerfGE 55, 72.<br />

Zitiert in: Prof. Dr. Ingo Richter (1996): Casebook Verfassungsrecht, S. 645. München: C.H.<br />

Beck)<br />

Nach alledem beruhen die Entscheidungen des Amts- und Langerichts auf die Verletzung von Art.<br />

103 Abs. 1 GG.<br />

2. Artikel 103 Absatz 2 GG (Analogieverbot, Rechtssicherheit, Bestimmtheit des Gesetzes)<br />

a. Verurteilung wegen Nötigung<br />

Die <strong>Verfassungsbeschwerde</strong>führerin wurde wegen Nötigung verurteilt. Aus dem Urteil sind<br />

folgende Feststellungen zu der Nötigung zu entnehmen:.<br />

Sachverhalt:<br />

Zusammen mit weiteten Personen stieg die Angeklagte auf das Dach einer in diesem<br />

einnzäunten Gebiet abgestellten Vollernter-Maschine im Bereich der Schoppenschneise, als<br />

der Arbeiter, der diese Maschine bediente in seiner Pause war. Der Arbeiter konnte seine<br />

Arbeit nicht fortsetzen, als et aus der Pause zurückkehrte. Die herbeigerufenen Polizeikräfte<br />

forderten die Angeklagte mehrfach auf, vom Dach der Maschine herunterzusteigen Diesen<br />

Aufforderungen kam die Angeklagte aber nicht nach. Die Angeklagte verblieb mit den<br />

weiteren auf dem Dach der befindlichen Personen dort für ewa 45 Minuten. Nachdem die<br />

Polizeikräfte Leitern herangeschafft hatten, wurden die Angeklagte und die weiteren<br />

Personen jeweils einzeln durch mehrere Polizeibeamte vom Dach der Maschine<br />

heruntergetragen.


Rechtliche Bewertung durch das Amtsgericht:<br />

Daneben liegt in dem Besteigen des Daches der Vollernter-Maschine auch eine Nötigung<br />

denn die Angeklagte hat durch das Besetzen der Maschine einen anderen Menschen<br />

rechtswidrig zu einer Unterlassung genötigt.Die Anwendung von Gewalt liegt bereits dann<br />

vor, wenn durch Blockaden, beispielsweise -wie hier - Sitzblockaden, ein anderer in seiner<br />

Bewegungsfreiheit oder im Gebrauch einer Sache eingeschänkt wird. Deshalb ist auch in<br />

der Besetzung der Vollernter-Maschine durch die Angeklagte eine Gewaltanwendung zu<br />

sehen, denn dadurch wurde der Gebrauch der Sache unmöglich gemacht. Dies folgt daraus,<br />

daß der Arbeiter, der die Maschine bedienen sollte, seine Arbeit nicht fortsetzen konnte, et<br />

somit zu einer Unterlassung gezwungen wurde. Die Angeklagte handelte dabei zumindest<br />

mit bedingtem Vorsatz, denn sie hat auf Grund der äußeren Umsände erkannt, daß mit der<br />

Maschine Arbeiten verrichtet werden sollten und billigend Kauf genommen, daß diese<br />

Arbeit nicht fortgesetzt werden könnte, wenn hierauf nicht sogar gerade ankam.<br />

Diese Feststellungen genügen nicht den Anforderungen des § 240 StGB. Die Verurteilung wegen<br />

Nötigung des Baumerntemaschinenfahrers stellt eine abermalige Ausweitung des Gewaltbegriffs in<br />

§ 240 Abs. 1 StGB dar und ist unter zahlreichen Aspekten ein Verstoß gegen das Analogieverbot<br />

aus Art. 103 Abs. 2 GG.<br />

Es handelt sich um eine Verurteilung wegen Nötigung ohne das Opfer einer Nötigung. Ich habe<br />

niemand zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung „genötigt“.<br />

Der Aussage eines Polizeizeugen in der Hauptverhandlung nach, befand sich der Fahrer der<br />

besetzten Baumerntemaschine zur Tatzeitpunkt (Besetzungszeitpunkt) in der Mittagspause und war<br />

nicht vor Ort.<br />

Dies wurde im Urteil festgehalten:<br />

Zusammen mit weiteren Personen stieg die Angeklagte auf das Dach einer in diesem<br />

einnzäunten Gebiet abgestellten Vollernter-Maschine im Bereich der Schoppenschneise, als<br />

der Arbeiter, der diese Maschine bediente in seiner Pause war. (Urteil Seite 3 – Blatt 391<br />

der Akten)<br />

Das einzig in Frage kommende Opfer der Nötigung der Maschinenbesetzung war somit zum<br />

Tatzeitpunkt nicht anwesend. Der Fahrer der Baumerntemaschine wurde in der Hauptverhandlung<br />

nicht vernommen. Ob er in seiner Willensentscheidung durch die Maschinen-Besetzung behindert<br />

wurde, wurde in der Verhandlung daher nicht festgestellt. Die Feststellung, der Arbeiter habe seine<br />

Arbeit nicht fortsetzen können, als er aus der Pause zurückgekehrt sei, ist für mich und alle anderen<br />

Personen, die an der Hauptverhandlung teilgenommen haben, nicht nachvollziehbar. Niemand<br />

sprach in der Hauptverhandlung davon, das der Arbeiter an seine Arbeitsstelle nach der Pause<br />

zurückgekehrt ist. Völlig offen bleibt, wann er zurückgekommen sein soll. Die Dauer der<br />

angeblichen Behinderung kann ich nirgendwo nachlesen. Im Urteil steht dazu nichts.<br />

Daraufhin mein Pflichtverteidiger in seinem,Berufungsbegründungsschreiben an das Landgericht<br />

hin:<br />

„... Die Feststellung, der Arbeiter habe seine Arbeit nicht fortsetzen können, als er aus der<br />

Pause zurückgekehrt sei, ist willkürlich. Der betreffende Arbeiter ist in der entsprechenden<br />

Hauptverhandlung nicht gehört worden. Kein Zeuge, der in der Hauptverhandlung<br />

vernommen worden ist, hat entsprechendes bekundet. Die Hauptverhandlung ergab, dass<br />

der betreffende Arbeiter in der Zeit, als der Harvester besetzt worden ist, nicht anwesend<br />

war. Er soll sich in der Pause befunden haben. Es wurde nicht festgestellt, wann diese


Pause endete. Insbesondere konnte nicht festgestellt werden, dass der Arbeiter die Absicht<br />

hatte, zu seinem Arbeitsfahrzeug zurückzukehren, um seine Arbeit fortzusetzen. Schon gar<br />

nicht wurde festgestellt, dass er daran durch die Besetzung des Harvesters gehindert<br />

gewesen ist. ...“ (Schriftsatz meines Verteidigers vom 06.07.2010 anbei).<br />

Ich wurde trotz dessen wegen Nötigung verurteilt, das Landgericht korrigierte diese Entscheidung<br />

nicht, die Annahme von der Berufung wurde ohne Angabe von Gründen abgelehnt.<br />

Die angegriffenen Entscheidungen verletzen auch das Rechtsstaatsprinzip und das Recht auf ein<br />

faires Verfahren, weil in der Verhandlung keinerlei bewiesen wurde, dass der Fahrer sich genötigt<br />

gefühlt hätte, dass der Fahrer durch die Besetzung in seiner Arbeit gegen seinen Willen behindert<br />

worden wäre. Es sind durchaus Fälle denkbar, in denen ein Sitzen auf einer Maschine - in dem Fall<br />

das symbolische und konkrete Objekt des Protestes gegen die Abholzung - nicht als Gewalt im<br />

Sinne des § 240 StGB gewertet werden muss, weil der Fahrer durch die Handlung nicht behindert<br />

wurde, weil er wie hier zur Tatzeitpunkt abwesend war, so dass die Zwangswirkung entfällt. Die<br />

angegriffenen Entscheidungen wertet das bloße Beklettern der Maschine und die Sepukulation über<br />

damit hergehende Beeinträchtigungen für den nicht anwesenden Fahrer der Maschine als<br />

ausreichend für eine Verurteilung wegen Nötigung. Damit ist aber das Tatbestandsmerkmal<br />

"Gewalt" in § 240 Abs. 1 StGB in seiner Auslegung durch den Bundesgerichtshof (BGHSt 23, 46)<br />

nicht erfüllt. Da der Fahrer nicht befragt wurde (und auch nicht befragt werden konnte, weil aus<br />

Rumänien stammt und nun dort wieder lebt) und zur Tatzeitpunkt nicht anwesend war, kann nur<br />

über eine eventuelle Beeinträchtigung seiner Willensentscheidung spekuliert werden.<br />

Es hätte nach dem Grundsatz "in dubio pro reo" ein Freispruch erfolgen müssen.<br />

Eine ordentliche Prüfung der Zweck-Mittel Relation durch die Gerichte bei der Verurteilung wegen<br />

Nötigung - und die Frage der Verwerflichkeit kann ich nicht erkennen. Das Bundesverfassungsgericht<br />

wird dazu wie folgt zitiert:<br />

„... 1. Soweit sich die Bf. gegen die Handhabung der Verwerflichkeitsklausel des § 240<br />

Abs. 2 StGB durch das BayObLG wendet, kann offen bleiben, ob Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG und<br />

Art. 8 GG als Prüfungsmaßstäbe heranzuziehen sind (vgl. BVerfGE 69, 315 (343); 73, 206<br />

). Ein verfassungsrechtlicher Schutz vor unverhältnismßigen<br />

Sanktionen wird in Fällen der vorliegenden Art auch durch Art. 2 Abs. 1 GG gewährt (vgl.<br />

BVerfGE 73, a.a.O.). Dieses Grundrecht wird durch die angefochtene Entscheidung verletzt.<br />

a) Es verstößt gegen Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip, wenn die Strafgerichte<br />

den Tatbestand einer Nigung durch Gewalt auf der Grundlage des sogenannten<br />

„erweiterten Gewaltbegriffs" (vgl. BGHSt 23, 46 sowie die w.N. in BVerfGE 73, 206 ) bejahen und der Gewaltanwendung sodann indizielle Bedeutung im<br />

Rahmen der Rechtswidrigkeitsprüfung nach § 240 Abs. 2 StGB beimessen. Wird der<br />

Gewaltbegriff "entmaterialisiert" und bis hin zu psychischen Zwangswirkungen erstreckt,<br />

fehlt jeder innere Grund dafür, bei der Anwendung der Strafnorm die gesetzlich als<br />

Korrektiv vorgesehene Verwerflichkeitsklausel außer acht zu lassen. Vielmehr ist gerade<br />

dann eine umfassende Abwägung unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des<br />

konkreten Einzelfalls unerlässlich (vgl. BVerfGE 73, 206 (247, 253 ff.); ferner BVerfGE 76,<br />

211 (216ff.)).<br />

Es ist aus naheliegenden Gründen nicht möglich, die hiernach im Rahmen der Verwerflichkeitsprüfung<br />

zu berücksichtigenden Tatumstände abschließend und losgelöst vom<br />

Einzelfall zusammenzufassen. Dementsprechend sind Umfang und Reichweite dieser<br />

Prüfung ebenfalls von den Besonderheiten des Einzelfalls geprägt und abhängig. Freilich<br />

kann dem Urt. des BVerfG v. 11. 11. 1986 und den Nachfolgeentscheidungen eine Reihe von<br />

Gesichtspunkten entnommen werden, die bei der Prüfung der Verwerflichkeit von


Blockadeaktionen der vorliegenden Art – wenn auch nicht in jedem Einzelfall, so doch<br />

jedenfalls typischerweise und häufig – Bedeutung erlangen. Hiernach sind als maßgebliche<br />

Tatumstände regelmäßig zu berücksichtigen: der zum Blockadetermin zu erwartende<br />

Dienstbetrieb, die Dauer und Intensität der Aktionen, deren vorherige Bekanntgabe,<br />

Ausweichmöglichkeiten über andere Zufahrten und der Sachbezug der betroffenen Personen<br />

zum Protestgegenstand (vgl. BVerfGE 73, 206 (257); 76, 211 (217)). Darüber hinaus kann<br />

es unter Umständen etwa auch auf die Zahl der Demonstranten oder die Dringlichkeit der<br />

blockierten Transporte und sonstigen Dienstfahrten ankommen. Ob und in welchem Umfang<br />

auch die Fernziele und sonstigen Tatmotive der Demonstranten schon bei der<br />

Verwerflichkeitsprüfung zu berücksichtigen sind, hat das BVerfG freilich der abschließenden<br />

Beurteilung durch die Strafgerichte überlassen (vgl. BVerfGE 73, 206 (260 f.)).<br />

Die Auswahl und Gewichtung der nach Lage des konkreten Sachverhalts in die Verwerflichkeitsprüfung<br />

nach § 240 Abs. 2 StGB einzubeziehenden Gesichtspunkte obliegt den<br />

zuständigen Strafgerichten und ist der verfassungsgerichtlichen Nachprüfung grundsätzlich<br />

entzogen. Das BVerfG hat die Auslegung und Anwendung des § 240 Abs. 2 StGB nur<br />

daraufhin zu überprüfen, ob sie Fehler erkennen lassen, die auf einer grundsätzlich<br />

unrichtigen Auffassung von der Bedeutung eines Grundrechts beruhen und auch in ihrer<br />

materiellen Bedeutung für den konkreten Rechtsstreit von einigem Gewicht sind.<br />

Insbesondere liegt eine Grundrechtswidrigkeit noch nicht vor, wenn die Anwendung des §<br />

240 Abs. 2 StGB durch den zuständigen Strafrichter zu einem Ergebnis geführt hat, über<br />

dessen "Richtigkeit" sich streiten läßt (vgl. BVerfGE 18, 85 (92 f.); 73, 206 (260) m.w.N.).<br />

Dies bedeutet andererseits nicht, daß das BVerfG in Fällen der vorliegenden Art erst dann<br />

eingreifen kann, wenn das Strafgericht ausdrücklich von einer die Rechtswidrigkeit<br />

indizierenden Bedeutung der Gewaltanwendung ausgegangen ist und im Hinblick<br />

hieraufjede weitere Abwägung der Tatumstände abgelehnt hat. Die grundrechtssichernde<br />

Funktion der Verwerflichkeitsklausel des § 240 Abs. 2 StGB (vgl. hierzu BVerfGE 73, 206<br />

) kann auch dann mißachtet worden sein, wenn das Strafgericht im Rahmen der<br />

Verwerflichkeitsprüfung zwar auf die Notwendigkeit einer umfassenden Abwägung<br />

hingewiesen hat, den Gründen der angefochtenen Entscheidung jedoch nicht zu entnehmen<br />

ist, ob diese Abwägung stattgefunden hat und aufgrund welcher besonderen Umstände des<br />

konkreten Einzelfalles die Rechtswidrigkeit der Gewaltanwendung bejaht wurde.<br />

Dementsprechend reicht es von Verfassungs wegen auch nicht aus, wenn das Gericht die<br />

Verwerflichkeit der Gewaltanwendung lediglich unter Verweis auf eine abstrakte, vom<br />

konkreten Sachverhalt losgelöste Fallkonstellation begründet. Dies gilt zumal dann, wenn<br />

die angefochtene Entscheidung trotz Kenntnis der neueren Entscheidungen des BVerfG<br />

(BVerfGE 73, 206) und des BGH (BGH NJW 1986, S. 1883 [= StV 1986, 297]; NJW 1988,<br />

S. 1739 [= StV 1988, 297]) in einer solch ungenügenden Weise begründet wird (vgl.<br />

BVerfGE 76, 211 ).<br />

b) Das angegriffene Revisionsurteil hält auch bei eingeschränktem Kontrollumfang der<br />

verfassungsrechtlichen Prüfung nicht stand.<br />

Zwar hebt das BayObLG zutreffend hervor, daß die das Verwerflichkeitsurteil und damit die<br />

Rechtswidrigkeit der Tat begründende Zweck-Mittel-Relation einer selbständigen Prüfung<br />

im Rahmen des § 240 Abs. 2 StGB bedürfe. Auch seine Ausführungen zu dem hierbei<br />

einzuhaltenden Prüfungsprogramm, das insbesondere die Berücksichtigung aller für die<br />

Zweck-Mittel-Relation wesentlichen Umstände und Beziehungen des Einzelfalls<br />

erforderlich macht, sind von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden.<br />

Das Urteil läßt jedoch nicht erkennen, daß das Gericht diesem Prüfungsprogramm auch<br />

tatsächlich gefolgt ist. In unmittelbarem Anschluß an seine abstrakt gehaltenen<br />

Darlegungen zur Bedeutung, zum Inhalt und zur Reichweite der Verwerflichkeitsprüfung<br />

nach § 240 Abs. 2 StGB stellt das Gericht fest, daß die von der Bf. gewollten<br />

Blockadeaktionen hiernach als verwerflich anzusehen seien. Diese Feststellung bezieht sich<br />

nicht auf eine ... bereits vollzogene, den konkreten Sachverhalt ausschöpfende Abwägung


aller wesentlichen Tatumstände. Sie kann deshalb allenfalls das vorweggenommene<br />

Ergebnis einer solchen Abwägung bezeichnen, der im weiteren Fortgang der<br />

Entscheidungsgründe dann freilich erst noch nähergetreten werden müßte.<br />

Dies geschieht jedoch nicht. Im Anschluß an die erwähnte Feststellung wendet sich das<br />

BayObLG vielmehr der Frage zu, ob und in welchem Umfang nach § 240 Abs. 2 StGB auch<br />

über die unmittelbar gewollten Wirkungen des Gewalteinsatzes hinausgehende weitere<br />

Folgewirkungen (Fernziele) berücksichtigt werden können. In diesem Zusammenhang weist<br />

das Gericht sodann beiläufig darauf hin, daß sich die gewollten Wirkungen der<br />

Blockadeaktionen in ihrem Zusammenhang mit der Gewaltanwendung als verwerflich<br />

erwiesen hätten. Der Erweis ist in dem Urteil jedoch nicht erbracht. Die vorangegangenen<br />

Ausführungen lassen die in Bezug genommene Verwerflichkeitsprüfung einschließlich der<br />

von Verfassungs wegen gebotenen umfassenden Abwägung nicht erkennen.<br />

Zwar stellt das BayObLG im Rahmen seiner allgemeinen Erwägungen zur Berücksichtigungsfähigkeit<br />

der verschiedenen Nötigungsziele einen gewissen Bezug zu dem<br />

konkreten Sachverhalt her. Als die unmittelbar gewollten oder gebilligten Wirkungen, die<br />

sich als verwerflich erwiesen hätten, seien nämlich »vorliegend die Hinderung anderer an<br />

der Weiterfahrt und hierdurch bewirkte Erregung der öffentlichen Aufmerksamkeit für eine<br />

bestimmte politische Meinung« anzusehen. Damit wird jedoch der im Rahmen einer<br />

Abwägung nach § 240 Abs. 2 StGB anzustrebende Konkretionsgrad verfehlt.<br />

Blockadeaktionen der hier in Rede stehenden Art haben immer die Behinderung anderer<br />

und die Erregung der öffentlichen Aufmerksamkeit zur Folge. Gerade weil und soweit sie<br />

deshalb auf der Grundlage des erweiterten strafrechtlichen Gewaltbegriffs regelmäßig die<br />

tatbestandlichen Voraussetzungen des § 240 Abs. 1 StGB erfüllen, muß dem Grundrechtsschutz<br />

der Blockadeteilnehmer im Rahmen der Verwerflichkeitsprüfung nach § 240 Abs. 2<br />

StGB Rechnung getragen werden. Für die Prüfung der Reichweite dieses Schutzes im<br />

jeweiligen Einzelfall ist deshalb die Feststellung, daß die grundrechtlich geschützten<br />

Interessen Dritter überhaupt beeinträchtigt worden sind, zwar erforderlich, aber nicht<br />

ausreichend. Es kommt von Verfassungs wegen vielmehr darauf an, welches Gewicht dieser<br />

Beeinträchtigung unter Berücksichtigung aller den konkreten Einzelfall prüfenden<br />

Umstände zugemessen werden muß. Eine in diesem Sinne hinreichend konkrete Prüfung hat<br />

das BayObLG nicht angestellt.<br />

Seiner Bezugnahme auf den zugrundeliegenden Sachverhalt fehlt ferner das Element der<br />

Abwägung. Zwar erwähnt das Gericht die Absicht der Veranstalter und der Bf., nur eine von<br />

mehreren Zufahrten zu dem Depot zu blockieren. Dieser Umstand wird aber nicht in eine<br />

Abwägung der konkreten Tatverhältnisse einbezogen. Das Gericht geht vielmehr auf die<br />

Absicht der Veranstalter und der Bf. allein deshalb ein, um deutlich zu machen, daß eine<br />

derartige Absicht schlechterdings niemals die Verwerflichkeit der Blockadeaktion mindern<br />

könne. Damit hat das Gericht die Absicht der Blockierer, Fahrzeugführer nur zu einem<br />

Umweg zu nötigen, gerade nicht als einen Gesichtspunkt angesehen, der im Rahmen der<br />

nach § 240 Abs. 2 StGB erforderlichen Abwägung zugunsten der Bf. hätte berücksichtigt<br />

werden können. Diese Besonderheit der geplanten Blockadeaktionen wird im Gegenteil von<br />

vornherein aus dem Kreis der abwägungstauglichen und -erheblichen Gesichtspunkte<br />

ausgeschlossen.<br />

Da die angefochtene Entscheidung eine den verfassungsrechtlichen Anforderungen<br />

genügende Verwerflichkeitsprüfung nicht erkennen läßt, beruht sie letztlich allein auf der<br />

Feststellung nötigender Gewalt. Ob das BayObLG entgegen seinen eigenen Darlegungen<br />

der Sache nach doch von einer indiziellen Bedeutung der Gewaltanwendung ausgegangen<br />

ist, kann deshalb dahingestellt bleiben. Das Gericht hat jedenfalls den<br />

verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht hinlänglich Rechnung getragen, denen die<br />

Auslegung und Anwendung des § 240 StGB auf der Grundlage des sogenannten erweiterten<br />

Gewaltbegriffs unterliegt. Etwas anderes kann sich auch nicht daraus ergeben, daß das<br />

Vorliegen einer rechtswidrigen Nötigung durch Gewalt vorliegend allein anhand der


Vorstellungen und Absichten der Bf., soweit sie in dem verteilten Flugblatt ihren Ausdruck<br />

gefunden haben, überprüft werden konnte. Auch im Fall des § 111 StGB kann die<br />

Verwerflichkeit der Gewaltanwendung zu dem angestrebten Ziel nur im Rahmen einer<br />

umfassenden Abwägung aller maßgeblichen Tatumstände festgestellt werden, wobei letztere<br />

dann freilich aus dem Wortlaut der Aufforderung und den Absichten der Auffordernden<br />

erschlossen werden müssen.<br />

Nach alledem muß das angefochtene Urteil gemäß § 95 Abs. 2 BVerfGG aufgehoben und die<br />

Sache an das BayObLG zurückverwiesen werden. ...“ (Beschluss vom 26.07.1990 - 1 BvR<br />

237/88)<br />

Damit ist auch die Verwerflichkeit der mir vorgeworfenen Handlung zu verneinen.<br />

Beim Beklettern einer Baumerntemaschine zu einem Zeitpunkt, wo Arbeiter in der Mittagspause ist,<br />

musste ich nicht davon ausgehen, dass ich durch meine Handlung Dritte in seinem<br />

Entscheidungswillen beeinträchtigen würde. Mir ging es im Vordergrund um eine öffentlich<br />

wirksame politische Demonstration - was die Gerichte in ihren Entscheidungen und in der<br />

Abwägung zur Frage der Verwerflichkeit nicht berücksichtigten. Ich legte diese Bewegungsgründe<br />

dar, u.a. in der Form eines Beweisantrages am 15.4.2010. Die zu Beweisende Tatsache war<br />

folgende:<br />

Bei den angeklagten Handlungen, ging es um symbolischen Protest gegen den Flughafenausbau.<br />

Es ging den AktivistInnen darum, politischem Druck aufzubauen und die<br />

Öffentlichkeit über das Geschehen um den Flughafenausbau aufmerksam zu machen. Der<br />

direkte Zweck war nicht, die Rodungsarbeiten zu stören.<br />

Meinen Antrag begründete ich ausführlich. Aus der Begründung des Antrages 11:<br />

Begründung:<br />

Es wird immer wieder in der Akte behauptet, die Angeklagte hätte mit ihren Aktionen die<br />

Rodungsarbeiten behindern wollen. Dies entspricht nicht den Tatsachen. Freilich war die<br />

Angeklagte mit der Rodung des Waldes nicht einverstanden und setzte sich stark dagegen<br />

ein. Jedoch geschah dies durch symbolische Aktionen und die dazu gehörende<br />

Öffentlichkeitsarbeit. Während der vielen Monate – mit Unterbrechungen, die die<br />

Angeklagte im Widerstandsdorf lebte, kamen häufig Pressevertreter_innen in das Hüttenund<br />

Zeltdorf und berichteten anschließend nicht nur über die Lebensweise der<br />

Bewohner_innen, sondern auch über deren Motivation und die Hintergründe. So konnte in<br />

einer bereits weitgehend resignierten Region nach zehn Jahren noch einmal auf die<br />

Notwendigkeit für ein Mitbestimmungsrecht aller Betroffenen zu kämpfen aufmerksam<br />

gemacht werden. Zwar hat dies nicht ausreichen können, um den Ausbau des Flughafens zu<br />

verhindern. Dennoch ist festzustellen, dass während dieser Zeit das gesellschaftliche<br />

Interesse am der Ausbau und die damit einhergehenden Beeinträchtigungen wie die<br />

drohende Waldrodung und der zunehmende Fluglärm erneut zunahm. Als die Waldrodung<br />

direkt bevorstand und teilweise sogar schon im Gange war, wurde es vielen Aktivist_innen<br />

noch wichtiger bürgerliche Kreise auf die Vorgänge im Wald aufmerksam zu machen. In<br />

dem Bewusstsein, dass allein das Verschicken von Pressemitteilungen und das Sammeln von<br />

Unterschriften nicht genügen würde, führten sie symbolische Aktionen durch, die über die<br />

Medien den Blick der Öffentlichkeit auf die Ränder des Baumbestandes und in die<br />

Rodungsgebiete lenkte. Diese Aktionen bereiteten – neben anderen Kampagnen – den Boden<br />

für das Bürgerbegehren im Frühjahr 2009.<br />

Die Aktionen waren hingegen nicht geeignet die Rodungsarbeiten spürbar zu verzögern.<br />

Die Harvesterbesetzung am 23.1.2009 fand während der Mittagspause des<br />

Maschinenfahrers statt. Dies erläuterte bereits der Zeuge PK David Mach in seiner


Vernehmung vor diesem Gericht am 17.3.2010. Aus den Videoaufnahmen ist weiter zu<br />

entnehmen, dass die DemonstrantInnen keinen Rucksack mit sich führte, sowie keine<br />

Gegenstände, die für einen längeren Aufenthalt bestimmt sind. Diese Tatsache stellt also<br />

klar, dass der Aufenthalt symbolischen Charakter hatte. Die Anwesenheit der Presse bei der<br />

Aktion, wie die am 17.3.2010 vernommen Zeugen aussagten, spricht auch dafür, dass die<br />

DemonstrantInnen ihren Protest nach außen tragen wollten und dass die Besetzung ein<br />

Mittel dafür war, auf ihren Anliegen – die Zerstörung der Umwelt im Name von Profit,<br />

sichtbar zu machen. Die Kletteraktion vom 11. Februar 2009, an denen sich die Angeklagte<br />

beteiligte, fand zwar in Sichtweise des Rodungsgebietes statt – aber nicht auf Bäumen deren<br />

Fällung innerhalb der nächsten Stunden zu erwarten gewesen wäre. Dies soll auf dem<br />

Video zu sehen sein. Der Tatort sah noch nach einem Wald aus, die am 17.3. bereits<br />

vernommenen Zeuge haben ebenfalls von einem Wald geredet. Es kann auf jeden Fall nicht<br />

bewiesen werden, dass die Angeklagte den absoluten Willen die Arbeiten zu stören hatte.<br />

Wenn Polizisten dies äußern, ist es eine Vermutung von Ihnen, keine Tatsache. Polizisten<br />

sind wie alle anderen Menschen, sie sind keine Zauberer, die genau wissen, was das<br />

Gegenüber denkt! Viele Menschen, die sehr viele Zeit miteinander verbringen, kennen sich<br />

trotzdem nicht ausreichend gut um zu wissen was das Gegenüber denkt.<br />

Weiter gelten Wälder im allgemein als öffentlich zugänglich – unabhängig davon, wem sie<br />

gehören. Die diversen Zeugen habe es bereits am ersten Verhandlungstag bekundet, die<br />

Videoaufnahmen von beiden Tatorten (vom 23.1.2009 und 11.2.2009) werden es weiter<br />

bekräftigen. Die Angeklagte und ihre MitstreiterInnen demonstrierten an einem Ort, was<br />

übereinstimmend als Wald bezeichnet wurde. Dort gelten die Grundrechte wie die<br />

Versammlungsfreiheit und Meinungsfreiheit!Diese Grundrechte dürfen nur dann<br />

eingeschränkt werden, wenn es dafür eine rechtliche Grundlage gibt. Im konkreten Fall ist<br />

keine solche Grundlage erkennbar. Die Demonstrationen verliefen friedlich,<br />

Gewalttätigkeiten wurden nicht ausgeübt und eine Störung war nicht zu erwarten, aus den<br />

zuvor erwähnten Gründen.<br />

Soweit es um die Protestversammlungen auf dem Gelände des Kelsterbacher Waldes geht, waren<br />

diese Versammlungen durch das Grundrecht, sich friedlich unter freiem Himmel zu versammeln<br />

gedeckt (Art. 8 GG). Hinzu kommt, dass die DemonstrantInnen und ich mit unserer Versammlung<br />

auf ein wichtiges umweltpolitisches Anliegen aufmerksam machen wollten. Den Ort wählten wir<br />

aus, weil er von großem symbolischem Charakter war. Daher hätte die Beurteilung der Zweck-<br />

Mittel-Relation sowie die Verhältnismäßigkeitsprüfung zu meinen Gunsten ausgehen müssen.<br />

Die Gerichte hätten in die Abwägung den kommunikativen Zweck der Versammlung einstellen<br />

müssen, sowie das Ziel, die Aufmerksamkeit in einer die Öffentlichkeit angehenden und<br />

bewegenden Frage zu erzielen. Eine inhaltliche Bewertung des kommunikativen Anliegens, die den<br />

Gerichten verwehrt ist (BVerfG NJW 2002, 1031,1034), ist damit nicht verbunden. Die Besetzung<br />

der Maschine in Abwesenheit des Fahrers war hinnehmbar, jedenfalls nicht als verwerflich oder<br />

sozialwidrig einzustufen.<br />

b. Verurteilung wegen Hausfriedensbruch in drei Fällen:<br />

Es liegt einen weiteren Verstoß gegen 103 Absatz 2 GG, weil ich als <strong>Verfassungsbeschwerde</strong>führerin<br />

wegen Hausfriedensbruch ohne, dass es einen rechtmäßigem Strafantrag gegeben hätte,<br />

verurteilt worden bin. Die Verteidigung erläuterte dies ausführlich in ihrem Begründungsschreiben<br />

für die Annahmeberufung - dies wurde allerdings von Landgericht dann ignoriert..<br />

„... 1.<br />

Soweit das Amtsgericht Frankfurt am Main die Angeklagte wegen Hausfriedensbruchs in


drei Fällen verurteilte, hätte das Verfahren gemäß § 206a I StPO durch Beschluss<br />

eingestellt werden müssen. In allen drei Fällen liegt ein wirksam gestellter Strafantrag nicht<br />

vor. Die nach §§ 123 II, 77 I StGB erforderlichen Strafanträge sind<br />

Prozessvoraussetzungen. Fehlt der Strafantrag und kann dieser auch nicht mehr nachgeholt<br />

werden, liegt ein Verfahrenshindernis vor, weshalb nach § 206a I StPO verfahren werden<br />

muss.<br />

2.<br />

Im Fall 1 traf das Amtsgericht Frankfurt am Main hinsichtlich der Stellung eines<br />

Strafantrages folgende Feststellungen:<br />

"... Am Nachmittag des 31. Dezember 2008 erkletterte die Angeklagte unter Verwendung<br />

eines Klettergeschirrs einen metallenen Stützbogen des Vorhallendaches des Frankfurter<br />

Hauptbahnhofs. ... Der Frankfurter Hauptbahnhof steht im Eigentum der Deutsche Bahn<br />

AG und wird durch ein mit der vorbezeichneten Konzernmuttergesellschaft verbundenes<br />

Unternehmen, die DB Station & Service AG, verwaltet. ... Unter dem 01. Januar 2009 hat<br />

die DB Stations Service AG, dabei vertreten durch ihren Angestellten Schütz, Strafantrag<br />

gegen die Angeklagte wegen des Vorfalles vom 31.12.2008 gestellt. ... Der Zeuge von der<br />

Heyde ist als Manager für die DB Station & Service AG, der die Verwaltung des<br />

Frankfurter Hauptbahnhofs obliegt tätig. Er hat im Wesentlichen bestätigt, dass Herr<br />

Schütz, der Angestellter der DB Station & Service AG den Strafantrag gegen die Beklagte<br />

stellte, auch zur Antragstellung für die Gesellschaft berechtigt war. Nach dem Zeugnis des<br />

Zeugen von der Heye ist der Angestellte Schütz als Schichtleiter für die Sicherheit und<br />

Ordnung im gesamten Bahnhofsgebäude zuständig. Darüber hinaus hat der Zeuge von der<br />

Heyde unter Vorlage einer Genehmigung seitens DB Station & Service AG auch eingeführt,<br />

dass die Stellung des Strafantrags durch den Angestellten Schütz nachträglich noch<br />

genehmigt wurde, um Zweifel über die Rechtmäßigkeit des Strafantrages auszuschließen. ...<br />

Die DB Station & Service AG ist als Gebäudeverwalter berechtigt, den Liegenschaftseigentümer<br />

bei der Stellung von Strafanträgen zu vertreten und bedarf hier zu keine besonderen<br />

Vollmacht. Die Untervollmacht lässt den Strafantrag unterzeichnenden Angestellten<br />

Schütz ergibt sich aus der vorgelegten Stellenbeschreibung seitens der Deutsche<br />

Bahn AG - Konzerns und dem Zeugnis des Zeugen von der Heyde."<br />

Diese Feststellungen sind unrichtig. Der Zeuge Schütz wurde nicht vernommen. Seine<br />

Funktion ist nicht bekannt. Den Strafantrag stellte er nicht. In den Akten tauchte er bis zur<br />

Hauptverhandlung nicht auf. Den Strafantrag unterzeichnete ein Herr Blum (Bl. 271 d.A.).<br />

Das ist alles aktenkundig. Die Angeklagte wird dazu neue Beweisanträge stellen.<br />

3.<br />

Aufgrund dieser Feststellungen ist davon auszugehen, dass der Inhaber des Hausrechts<br />

(Fischer StGB, 57. Auflage, Rz. 44 zu §122) keinen wirksamen Strafantrag stellte.<br />

Eigentümerin des Frankfurter Hauptbahnhofs ist die Deutsche Bahn AG. Diese ist Inhaberin<br />

des Hausrechts. Sie stellte keinen Strafantrag. Die DB Station & Service AG war<br />

zur Tatzeit weder Mieterin noch Pächterin des Frankfurter Hauptbahnhofs. Der Frankfurter<br />

Hauptbahnhof steht auch nicht im Gemeingebrauch.<br />

Dementsprechend ist auf die DB Station & Service AG kein Sondernutzungsrecht<br />

übertragen worden (vgl. Fischer StGB, 57. Auflage, Rz. 3 zu § 123). Ausweislich der<br />

Feststellungen des erstinstanzlichen Urteils konnte nicht festgestellt werden, dass die DB<br />

Station & Service AG den Hauptbahnhof tatsächlich benutzt. Eine reine tatsächliche<br />

Benutzung würde der DB Station & Service AG kein Hausrecht verleihen (Fischer, StGB,<br />

25. Auflage, Rz. 3 zu § 123). Soweit das Amtsgericht feststellte, der DB Station & Service<br />

AG obliege die Verwaltung des Frankfurter Hauptbahnhofs, kann daraus kein Hausrecht<br />

abgeleitet werden. Haus- und Grundstücksverwalter haben in der Regel kein Hausrecht. Sie<br />

üben nicht die tatsächliche Sachherrschaft über das verwaltete Objekt aus.


Dementsprechend kann die Verwalterstellung kein Hausrecht begründen.<br />

4.<br />

Antragsberechtigt ist der Inhaber des Hausrechts. Dies ist hinsichtlich des Frankfurter<br />

Hauptbahnhofs die Deutsche Bahn AG. Hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass die<br />

Deutsche Bahn AG ihre Antragsbefugnis auf die DB Station & Service AG übertragen hat,<br />

lassen sich den schriftlichen Urteilsgründen nicht entnehmen. Selbst wenn die Befugnis zur<br />

Ausübung des Hausrechts seitens der Deutschen Bahn AG auf die DB Station & ServiceAG<br />

übertragen worden wäre, würde sich daraus nicht ohne weiteres eine Übertragung der<br />

Antragsbefugnis ergeben (Fischer StGB, 57. Auflage, Rz. 44 zu §123 unter Hinweis auf<br />

OLG Brandenburg NJW 2002, 693). Mit der Übertragung der Verwaltung des Frankfurter<br />

Hauptbahnhofs ist nicht zugleich die Befugnis zur Ausübung des Hausrechts verbunden.<br />

Auch wer das Hausrecht ausübt, ist nicht ohne weiteres dazu befugt, einen Strafantrag zu<br />

stellen. Rein vorsorglich weist die Verteidigung darauf hin, dass der Inhalt der Stellenbeschreibung<br />

(Bl. 273 - 276 d. A.) gegen die vom Amtsgericht unterstellte Annahme spricht.<br />

Dieser Stellenbeschreibung lässt sich keine Übertragung des Hausrechts und/oder eine<br />

Übertragung der Antragsbefugnis entnehmen.<br />

5.<br />

In Betracht kommt, dass die Deutsche Bahn AG die Stellung des Strafantrages nachträglich<br />

gebilligt haben könnte (Fischer, StGB, 57. Auflage, Rz, 44 zu §123). Derartige<br />

Feststellungen konnte jedoch das Amtsgericht Frankfurt am Main nicht treffen.<br />

Soweit die DB Station & Service AG nachträglich die Stellung des Strafantrags durch den<br />

Angestellten Schütz genehmigt haben soll, kann es darauf nicht ankommen. Die DB Station<br />

& Service AG ist nicht Hausrechtsinhaberin. Ihr ist die Antragsbefugnis auch nicht<br />

übertragen worden. Die Stellung des Strafantrages hätte in hinreichender Deutlichkeit<br />

durch die Deutsche Bahn AG erfolgen müssen. Dies ist nicht geschehen. Dieser Mangel<br />

kann nicht mehr behoben werden, weil die Strafantragsfrist abgelaufen ist.<br />

6.<br />

Bei der Deutschen Bahn AG handelt es sich um eine juristische Person. Eine solche kann<br />

antragsberechtigt sein. In diesen Fällen bestimmt sich die Befugnis zur Stellung des<br />

Strafantrages nach der gesetzlichen oder satzungsgemäßen Vertretungsregelung (Fischer<br />

StGB, 57. Auflage, Rz. 2a zu § 77).<br />

Den Feststellungen des angefochtenen Urteils lassen sich satzungsgemäße Vertretungsregelungen<br />

nicht entnehmen. Es ist daher davon auszugehen, dass die DB Station &<br />

Service AG nicht befugt war, die Deutsche Bahn AG gesetzlich oder satzungsgemäß zu<br />

vertreten. Von Gesetzes wegen wird die Deutsche Bahn AG vom Vorstand vertreten.<br />

Erklärungen des Vorstandes lassen sich nicht feststellen.<br />

7.<br />

Die DB Stations Service AG gab keine Erklärung in Vertretung für die Deutsche Bahn AG<br />

ab. Im Fall der Vertretung in der Erklärung liegt daher nicht vor. Eine Vertretung im Willen<br />

wäre im vorliegenden Fall nicht möglich, weil nämlich nicht um vermögenswerte<br />

Rechtsgüter geht. Das Hausrecht ist Teilbereich der persönlichen Handlungsfreiheit<br />

(Fischer, StGB, 57. Auflage, Rz. 2 zu §123), so dass eine Vertretung im Willen<br />

ausgeschlossen ist (Fischer, StGB, 57. Auflage, Rz. 22 zu §77).<br />

8.<br />

In den Fällen 2 und 3 traf das Amtsgericht Frankfurt am Main folgende Feststellungen:<br />

'... Am 23. Januar 2009 überwand die Angeklagte zusammen mit weiteren Personen einen


das damalige Rodungsgebiet im Kelsterbacher Wald umschließenden Zaun. In den<br />

Grundbesitz diese Rodungsgebietes war und ist mit Beschluss des Regierungspräsidiums<br />

Darmstadt die Fraport AG eingewiesen. Die Fraport betreibt den Frankfurter Flughafen<br />

und verfolgte mit der Rodung des Geländes im Kelsterbacher Wald die Errichtung einer<br />

einer neuen Start- und Landebahn zum Ausbau des Flughafenbetriebes. ... Die Fraport AG<br />

hat wegen der Vorkommnisse am 23. Januar und am 11. Februar 2009 Strafanträge gegen<br />

die Angeklagte gestellt. Dabei wurde die Fraport AG durch ihren Angestellten Seibert<br />

vertreten. Der Angeklagte Seibert war aufgrund durch den Vorstand der Fraport AG<br />

ausgestellten Vollmacht zur Stellung des Strafantrags für die Fraport AG ermächtigt.'<br />

Diese Feststellungen genügen nicht, um von der Stellung wirksamer Strafanträge<br />

auszugehen.<br />

9.<br />

Den Feststellungen des Tatgerichts lässt sich entnehmen, dass die Fraport AG zur Zeit der<br />

Tat nicht Inhaberin des Hausrechtes gewesen ist. Die Verteidigung setzt als gerichtsbekannt<br />

voraus, dass das Rodungsgebiet im Kelsterbacher Wald zur Zeit der Tat im Eigentum der<br />

Stadt Kelsterbach stand. Das Hausrecht der Fraport AG konnte daher nicht aus einem etwa<br />

bestehenden Eigentum an dem Gelände hergeleitet werden. Die Fraport AG war<br />

ausweislich der Feststellungen des angefochtenen Urteils zur Tatzeit weder Mieterin noch<br />

Pächterin des Geländes. Es kann nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils ferner<br />

nicht davon ausgegangen werden, dass das Rodungsgebiet im Kelsterbacher Wald dem<br />

Gemeingebrauch unterlag und der Fraport AG insoweit ein Sondernutzungsrecht zustand.<br />

Es ist schon darauf hingewiesen worden, dass die tatsächliche Benutzung des Rodungsgebietes<br />

im Kelsterbacher Wald nicht ausreicht, um ein Hausrecht der Fraport AG zu<br />

begründen.<br />

Die Stadt Kelsterbach verlor ihr Recht zur Stellung eine Strafantrages als Eigentümerin des<br />

Geländes nicht dadurch, dass die Fraport AG mit Beschluss des Regierungspräsidiums in<br />

Darmstadt in den Besitz des Rodungsgebietes eingewiesen worden ist.<br />

10.<br />

Den Feststellungen des erstinstanzlichen Urteils lässt sich der Inhalt des Beschlusses des<br />

Regierungspräsidiums Darmstadt nicht entnehmen. Zugunsten der Angeklagten ist daher<br />

davon auszugehen, dass der Beschluss die Übertragung des Hausrechts und der<br />

Antragsbefugnis auf die Fraport AG nicht enthält. Bei solchen Beschlüssen kann nicht<br />

unterstellt werden, damit gehe eine konkludente Übertragung des Hausrechts bzw. der<br />

Antragsbefugnis einher. Erfolgt eine staatliche Besitzeinweisung, müssten schon besondere<br />

Umstände vorliegen, denen entnommen werden könnte, dass der Begünstigten<br />

strafrechtliche und strafprozessuale Befugnisse eingeräumt werden sollten. Davon kann in<br />

der Regel nicht ausgegangen werden.<br />

11.<br />

Anhaltspunkte dafür, dass die Stadt Kelsterbach oder das Regierungspräsidium Darmstadt<br />

nachträglich die Stellung der Strafanträge gebilligt haben könnten, lassen sich den<br />

schriftlichen Urteilsgründen nicht entnehmen.<br />

12.<br />

Bei der Fraport AG handelt sich um eine juristische Person. Es ist schon darauf aufmerksam<br />

gemacht worden, dass es auf die gesetzliche oder satzungsgemäße Vertretungsregelung<br />

ankommt, um bestimmen zu können, wer den erforderlichen Strafantrag zu<br />

stellen hat. Dazu traf das Tatgericht keine ausdrücklichen Feststellungen. Dem Inhalt der<br />

Strafakten kann entnommen werden, dass der Vorstand der Fraport AG aus den Herren Dr.


Wilhelm Bender, Dr. Stefan Schulte, Herbert Mai und Dr. Matthias Zieschang besteht. Von<br />

Gesetzes wegen wird eine Aktiengesellschaft durch den Vorstand vertreten. Abgesehen<br />

davon, dass sich nicht feststellen lässt, ob die genannten Vorstandsmitglieder<br />

einzelvertretungsbefugt sind, ist davon auszugehen, dass keiner der Vorstandsmitglieder<br />

persönlich in ihrer Eigenschaft als Vorstand einen Strafantrag für die Fraport AG stellte.<br />

13.<br />

Nach den Feststellungen des Amtsgerichts kann von einer Vertretung in der Erklärung nicht<br />

ausgegangen werden. Für die Vertretung in der Erklärung würde zwar eine mündliche<br />

Beauftragung genügen. Unter Umständen hätte die Vollmacht gar nach Ablauf der<br />

Antragsfrist nachgewiesen werden können. Ein von einem Nichtberechtigten gestellter<br />

Antrag kann aber nicht durch nachträgliche Genehmigung wirksam werden (Fischer, StGB,<br />

57. Auflage, Rz. 21 zu §77). Dem Inhalt der Strafanträge vom 26.01.2009 (Bl. 173 d. A.) und<br />

12.02.2009 (Bl. 55 d. A.) kann entnommen werden, dass diese von den Herren Timo Seibert<br />

und Thomas Vitzthun unterzeichnet worden sind. Sie stellten den Strafantrag gegen die<br />

Angeklagte als „Geschädigte“. Die Unterzeichner des Strafantrages scheigen jedoch als<br />

„Geschädigte“ aus. Entsprechendes gilt im strengen sind für die Fraport AG, weil sie nicht<br />

Inhaberin des Hausrechts war. Ungeachtet dessen hätten die beiden Strafanträge vom<br />

26.01.2009 bzw. 12.02.2009 von den gesetzlichen Vertretern der Fraport AG gezeichnet<br />

werden müssen. Dies ist ersichtlich nicht geschehen. Die Strafanträge enthalten nicht die<br />

Unterschriften der Vorstandsmitglieder der Fraport AG. Feststellungen dazu, dass die<br />

Herren Seibert und Vitzthun beauftragt und bevollmächtigt gewesen sind, gesetzlichen<br />

Vertreter der Fraport AG im Zusammenhang mit der Stellung des Strafantrages in der<br />

Erklärung zu vertreten, konnte das Amtsgericht nicht treffen.<br />

14.<br />

Das Hausrecht gehört als Teilbereich der persönlichen Handlungsfreiheit nicht zu den<br />

vermögenswerten Rechtsgütern. Die Fraport AG konnte daher nicht im Willen vertreten<br />

werden. Dementsprechend hätte sich der Vorstand der Fraport AG mit der Frage befassen<br />

müssen, ob gegen die Angeklagte ein Strafantrag gestellt wird. Dazu traf das Amtsgericht<br />

Frankfurt in beiden Fällen ausweislich der schriftlichen Urteilsgründe keine Feststellungen.<br />

Zu Gunsten der Angeklagten ist daher davon auszugehen, dass die Herren Seibert und<br />

Vitzthun vor der Stellung der Strafanträge vom 26.01.2009 und 12.02.2009 keinen Kontakt<br />

mit den Vorstandsmitgliedern aufnahmen, um festzustellen, ob die Stellung der Strafanträge<br />

überhaupt dem Willen des Vorstandes entsprach. ...“<br />

Soweit ich es verstanden habe, hätten gegen mich wirksame Strafanträge gestellt werden müssen.<br />

Der Strafantrag soll eine Strafverfolgungsvoraussetzung sein. Ich darf – vor allem als französische<br />

Staatsbürgerin - nicht verurteilt werden, obwohl eine Strafverfolgungsvoraussetzung nicht gegeben<br />

ist. Das verstößt auch gegen Art. 103 Absatz 2 GG.<br />

3. Artikel 8 GG (Versammlungsfreiheit)<br />

Bei den Aktionen am 23. Januar und am 11. Februar 2009 im Kelsterbacher Wald handelte es sich<br />

offensichtlich um Versammlungen unter freiem Himmel. Der Kelsterbacher Wald war zu dieser Zeit<br />

öffentlich zugänglich und häufig Ort von Versammlungen wie Mahnwachen, Demonstrationen,<br />

Kletteraktionen oder künstlerisch-kreativen Veranstaltungen. Soweit es um die<br />

Protestversammlungen auf dem Gelände des Kelsterbacher Waldes geht, waren diese<br />

Versammlungen durch das Grundrecht, sich friedlich unter freiem Himmel zu versammeln gedeckt<br />

(Art. 8 GG). Die Versammlungen wurden von der Polizei nicht aufgelöst, die Protestierenden waren<br />

somit nicht dazu verpflichtet, sich aus der Versammlung zu entfernen.


Darauf wies ich mehrfach hin.<br />

Ich stellte diverse Beweisanträge, die beweisen sollten, dass ich als Angeklagte bei den Protetaktionen<br />

jeweils Teilnehmerin einer Versammlung war. Diese Beweistatsache wurde als wahr<br />

unterstellt. Durch das Befragen der Zeugen kam ebenfalls heraus, dass es sich bei den<br />

Protestaktionen um Versammlungen handelte.<br />

Hier als Beispiel den Beweisantrag Nummer 12 zum Themenkomplex Versammlung<br />

Der Antrag wurde am 15.4.2010 gestellt (Bl. 367):<br />

Die Angeklagte stellt den 12. Beweisantrag und verliest diesen sodann. Dieser Beweisantrag<br />

wurde ebenfalls als Anlage zum Protokoll genommen.<br />

Der Antrag hatte folgendem Wortlaut:<br />

Zu Beweisende Tatsache:<br />

An der Versammlung von 11.2.2009 nahmen 6 Personen teil, die gegen Rodungen im<br />

Kelsterbacher Wald protestierten.<br />

Beweismittel:<br />

POK Franke zu laden über BFE, Wiesbadener Str. 99 , 55252 Mainz-Kastel (Bl. 83 Akte)<br />

Begründung: Der Zeuge war von vorne rein zu Beginn der Versammlung anwesend und<br />

kann bezeugen, dass es 6 Versammlungsteilnehmer gab.<br />

Die Relevanz ergibt sich aus dem von mir bereits zitierten BGH-Urteil.<br />

Diese Beweisanträge wurden zum Teil durch Wahrunterstellung abgelehnt - für den Beweisantrag<br />

12 war es der Fall:<br />

Beschluss aus dem Protokoll Bl.367 der Akte<br />

b.u.v.<br />

Der Beweisantrag Nummer 12 wird abgelehnt, die Tatsache kann als wahr unterstellt<br />

werden ( § 244 Absatz 3 StPO).<br />

Auf diesen durch Wahrunterstellung abgelehnten Anträgen beruhte ein Teil meines Plädoyers. Mein<br />

Anwalt stützte sein Plädoyer ebenfalls zum Teil auf das Versammlungsgesetz.<br />

Zum konkreten Fall verwies ich weiter auf ein relevantes BGH-Urteil zu Versammlungen auf dem<br />

Flughafengelände. Dies erfolgte zum Beispiel mit dem am 15.4.2010 gestellten Beweisantrag 11.<br />

Die Zu Beweisende Tatsache war folgende:<br />

Bei den angeklagten Handlungen, ging es um symbolischen Protest gegen den Flughafenausbau.<br />

Es ging den AktivistInnen darum, politischem Druck aufzubauen und die<br />

Öffentlichkeit über das Geschehen um den Flughafenausbau aufmerksam zu machen. Der<br />

direkte Zweck war nicht, die Rodungsarbeiten zu stören.<br />

Der Hinweis auf das BGH-Urteil zu Versammlungen am Flughafen befand sich in der Begründung.<br />

Das BGH-Urteil mit Az. V ZR 134/05 besagt zwar, das Fraport in den Räumlichkeiten des<br />

Flughafens Hausrechtsinhaber ist und Demonstrationen untersagen darf. Dies darf jedoch<br />

nur unter strengen Bedingungen geschehen. Das Hausrecht erlaube es, so die Richter,<br />

Aktionen zu untersagen, "die geeignet sind, die Abwicklung des Flugverkehrs zu stören".<br />

Im konkreten Fall geht es aber nicht um Demonstrationen direkt am Flughafen, sondern im<br />

Wald. So dass es keine Gründe dafür gab, die Demonstrationen zu verbieten. Wenn Fraport


doch der Meinung gewesen wäre, die Demonstration würde die Arbeiten stören, hätte sie es<br />

genau begründen müssen und die Polizei hätte damit beauftragt werden müssen, das<br />

Problem zu regeln, indem Auflagen erteilt werden. Und wenn es nicht gereicht hätte, um die<br />

angebliche Störung zu beseitigen, hätte die Polizei die Demonstration auflösen müssen,<br />

bevor sie die DemonstrantInnen aus der Demonstration entfernte. Das gewaltsame<br />

Entfernen aus den Demonstrationen war somit rechtswidrig. Unerlaubte Demonstrationen<br />

müssen im übrigen auch aufgelöst werden, bevor Zwang angewendet wird!<br />

Die Protestaktionen, an denen ich mich als <strong>Verfassungsbeschwerde</strong>führerin im Wald beteiligte,<br />

waren in der Tat als Versammlungen zu sehen und zu behandeln:<br />

Im Urteil des BVerfG, 1 BvR 1726/01 vom 26.10.2004, wurde entschieden:<br />

Versammlung im Sinne des Art. 8 GG ist eine örtliche Zusammenkunft mehrerer Personen<br />

zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten<br />

Erörterung oder Kundgebung (vgl. BVerfGE 104, 92 ).<br />

Auch bei den Kletter-Aktionen im Kelsterbacher Wald waren mehrere Personen zusammengekommen,<br />

um gemeinschaftlich auf die öffentliche Meinungsbildung Einfluss zu nehmen. Mit<br />

Liedern und mit einem Banner (am 11.2.) sowie durch die Wahl des jeweiligen Versammlungsortes<br />

wurde Kritik am Flughafenausbau kundgetan. Die Presse wurde stets dazu eingeladen, die Aktionen<br />

zu begleiten. Das BVerfG fährt fort:<br />

Unfriedlich ist eine Versammlung erst, wenn Handlungen von einiger Gefährlichkeit durch<br />

aggressive Ausschreitungen gegen Personen oder Sachen oder sonstige Gewalttätigkeiten<br />

stattfinden (vgl. BVerfGE 104, 92 ). ... Der Schutz des Art. 8 GG besteht<br />

unabhängig davon, ob die Versammlung nach § 14 VersG hätte angemeldet werden müssen.<br />

Es fanden weder Sachbeschädigungen noch Gewalttaten seitens der AktivistInnen statt. Abgesehen<br />

davon, dass dies einer positiven Meinungsbildung im Sinne der AusbaugegnerInnen abträglich<br />

wäre, wäre ein solches Verhalten auch sonst nicht in deren Sinne. Der auf das Recht, sich "friedlich<br />

und ohne Waffen" zu versammeln, bezogene Schutz durch Art. 8 GG entfiel somit auch nicht wegen<br />

Unfriedlichkeit der Versammlung oder eines unfriedlichen Verhaltens der Betroffenen. Ich selbst<br />

überschritt die Schwelle zur Unfriedlichkeit auch nicht dadurch, dass ich die Baumerntemaschine /<br />

den Baum nicht aus eigener Kraft verließ, als die Polizei mit der Räumung begann. Durch mein<br />

zunächst passives Verhalten wollte ich meine Absicht zur weiteren Teilnahme an der Versammlung<br />

kundtun, nicht aber den Charakter der bis dahin friedlichen Versammlung ändern.<br />

Diesbezüglich beruft ich mich als Beschwerdeführerin auch auf folgendes Bundesverfassungsgerichts-Urteil:<br />

Hinsichtlich der Möglichkeit nachträglicher Ahndung entnimmt das Bundesverfassungsgericht<br />

beispielsweise dem Art. 8 GG das Erfordernis, dass die Strafgerichte für die<br />

Weigerung, sich unverzüglich aus einer aufgelösten Versammlung zu entfernen, gemäß § 29<br />

Abs. 1 Nr. 2 VersG eine Geldbuße nur dann verhängen dürfen, wenn feststeht, dass die<br />

Auflösung versammlungsrechtlich rechtmäßig war (vgl. BVerfGE 87, 399 ).<br />

Entsprechendes gilt für die Ahndung der Teilnahme an einer öffentlichen Versammlung oder<br />

einem Aufzug, welche durch vollziehbares Verbot untersagt sind, als Ordnungswidrigkeit<br />

gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 VersG (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats<br />

vom 12. März 1998 – 1 BvR 2165/96, 1 BvR 2168/96 –, JURIS, Rn. 13). (vgl. BVerfG, 1 BvR<br />

1090/06 (Absatz 30) vom 30.4.2007)


Wären die Versammlungen von strafbaren Handlungen begleitet gewesen (was sie nicht war), hätte<br />

die Polizei zunächst unter Androhung der Versammlungsauflösung deren Abbruch verlangen<br />

müssen. Bei Nichtbefolgen hätte sie die Versammlungsauflösung zunächst verkünden müssen. Nach<br />

Einschätzung der Betroffenen gab es – wie bereits dargelegt – während der Versammlungen weder<br />

strafbare Handlungen seitens der AktivistInnen noch wurde die Auflösung der Versammlung<br />

angedroht oder verkündet. Eine formal gültige Auflösung der Demonstrationen fand nie statt, da<br />

diese lediglich durch Verbringung der VersammlungsteilnehmerInnen in den Polizeigewahrsam<br />

irgendwann aufhörte zu existieren. Auch ein Versuch der Auflagenerteilung fand, soweit ich das als<br />

Betroffene mitbekam, nie statt.<br />

Die Rechtsprechung des OVG des Saarlandes 1. Senat, am 27.10.1988, Az: 1 R 169/86 beurteilte<br />

ein solches Vorgehen folgendermaßen:<br />

1. Vor der Anwendung unmittelbaren polizeilichen Zwangs zur Auflösung einer Versammlung<br />

bedarf es einer vorherigen Auflösungserklärung.<br />

2. Zur wirksamen Versammlungsauflösung nach §15 VersammIG steht der Polizei jede<br />

Erklärungsform etwa Lautsprechereinsatz, Verwendung von Textschildern und Textbändern<br />

- zur Verfügung mit Ausnahme des unmittelbaren Polizeizwangs.<br />

Auch das OVG Bremen 1. Senat am 4.11.1986, Az: 1 BA 15/86 urteilte in diese Richtung bereits<br />

bei der Beurteilung eines Platzverweises:<br />

Ein Platzverweis, der gegen die Teilnehmer einer Sitzblockade verfügt wird, ist<br />

rechtswidrig, falls die Sitzblockade nicht zuvor auf der Grundlage des Versammlungsgesetzes<br />

aufgelöst worden ist.<br />

Auch mein Ausschluss als Betroffene aus den Versammlungen fand nicht statt. Hätte er jedoch<br />

stattgefunden, hätte er folgenden Anforderungen genügen müssen:<br />

Der Ausschluss eines Versammlungsteilnehmers ist ein belastender Verwaltungsakt, durch<br />

den dem Betroffenen verboten wird, weiter an der Versammlung teilzunehmen. Auch die<br />

Ausschlussverfügung muss hinreichend bestimmt sein. Die Erklärung des Ausschlusses hat,<br />

wie diejenige der Auflösung (vgl. OVG des Saarlandes, Urteil vom 27. Oktober 1988 – 1 R<br />

169/86 -, JURIS, Rn. 32), besondere Bedeutung für die Sicherung der Versammlungsfreiheit.<br />

Ihre Notwendigkeit gibt der Polizei zum einen Anlass, sich über das Ziel ihrer Maßnahmen<br />

Rechenschaft zu geben und die rechtlichen Voraussetzungen des Ausschlusses zu bedenken.<br />

Vor allem aber dient sie dazu, dem Teilnehmer bewusst werden zu lassen, dass der<br />

versammlungsrechtliche Schutz der Teilnahme endet (vgl. BVerfGK 4, 154 ). Ihm soll<br />

damit auch Gelegenheit gegeben werden, die Grundrechtsausübung ohne unmittelbaren<br />

Polizeizwang zu beenden, indem er sich aus der Versammlung von sich aus entfernt. Dass<br />

eine diesen Anforderungen genügende Ausschlussverfügung vorliegend ergangen wäre,<br />

haben die Gerichte nicht festgestellt. Auch insofern hat es an einer wesentlichen<br />

Förmlichkeit der Rechtmäßigkeit von Maßnahmen gegen einzelne Versammlungsteilnehmer<br />

gefehlt. (BVerfG, 1 BvR 1090/06 vom 30.4.2007, Absatz 47)<br />

Ich wurde weder über eine Auflösung noch einen Ausschluss informiert. Gegenteiliges lässt sich<br />

dem Inhalt der angefochtenen Entscheidungen des AG Frankfurt und des LG Frankfurt nicht<br />

entnehmen. Es würde auch nicht stimmen.<br />

Meine Entfernung aus der Versammlung ist im vorliegenden Fall ähnlich zu bewerten wie die<br />

Entfernung des Versammlungsleiters im folgenden Beschluss des Verfassungsgerichts – zudem fand<br />

auch im vorliegenden Fall keine Feststellung der Versammlungsauflösung durch die Frankfurter


Gerichte statt:<br />

Auflösung ist die Beendigung einer bereits durchgeführten Versammlung mit dem Ziel, die<br />

Personenansammlung zu zerstreuen. Der Schutz der Versammlungsfreiheit erfordert, dass<br />

die Auflösungsverfügung eindeutig und nicht missverständlich formuliert ist und für die<br />

Betroffenen erkennbar zum Ausdruck bringt, dass die Versammlung aufgelöst ist (vgl.<br />

BVerfGK 4, 154 ; OVG Berlin, Beschluss vom 17. Dezember 2002 – 8 N 129.02 -,<br />

NVwZ-RR 2003, S. 896 ). Dieses Erfordernis soll den Beteiligten Klarheit darüber<br />

verschaffen, dass nunmehr der Grundrechtsschutz entfällt. Die Gerichte haben vorliegend<br />

nicht festgestellt, dass eine derartige Auflösungsverfügung erlassen worden ist. Auch wenn<br />

eine Auflösung nicht formgebunden ist, muss sie doch eigenständig erfolgen und eindeutig<br />

sein; sie ist insofern eine förmliche Voraussetzung der Rechtmäßigkeit darauf aufbauender<br />

Handlung, wie hier einer Entfernung des Versammlungsleiters aus der Versammlung.<br />

(BVerfG, 1 BvR 1090/06 vom 30.4.2007, Absatz 45)<br />

Da eine Auflösung der Versammlung jeweils nicht erfolgte, muss davon ausgegangen werden, dass<br />

die Demonstrierenden und ich während der laufenden Versammlung rechtswidrig von der<br />

Baumerntemaschine / von den Bäumen geholt und unter Anwendung von Gewalt in die<br />

Polizeiwägen gebracht wurden. Direkter Polizeizwang gegen Versammlungen oder Versammlungsteilnehmer<br />

ist jedoch nach gängiger Rechtsprechung nur im Anschluss an eine<br />

Auflösung der Versammlung möglich. Eine solche Auflösung ist aber in beiden Fällen nie erfolgt.<br />

Es ist also davon aus zu gehen, dass die DemonstrantInnen und sich das Recht hatten, an Ort und<br />

Stelle der Proteskundgebung zu verbleiben. Das ist weder ein Hausfriedensbruch noch eine<br />

Nötigung.<br />

Die Räumung von den VersammlungsteilnehmerInnen fand ohne Bezugnahme auf eine<br />

Rechtsgrundlage nach dem Versammlungsrecht statt. Eine solche gab es auch nicht, denn selbst<br />

wenn die Versammlung nicht als Spontanversammlung gewertet würde – obwohl aufgrund der<br />

akuten Fällarbeiten im direkten Umkreis des Widerstandsdorfes ein spontaner Anlass vorlag – hätte<br />

die Versammlung dennoch unter dem Schutz des Versammlungsrechtes gestanden:<br />

Der Schutz des Grundrechts besteht unabhängig davon, ob die Versammlung anmeldepflichtig<br />

und angemeldet war (vgl. BVerfGK 4, 154 )<br />

Auch folgendes Urteil des BVerfG stützt den Schutz der Versammlungsfreiheit:<br />

Zwar können auch Rechtsgutverletzungen oder -gefährdungen, die aus einem Verhalten im<br />

Schutzbereich der Versammlungsfreiheit herrühren, im Rahmen der die Versammlungsfreiheit<br />

gemäß Art. 8 Abs. 2 GG beschränkenden Gesetze abgewehrt werden. Der<br />

Schutz der Versammlungsfreiheit wird dadurch jedoch nicht beseitigt. (vgl. BVerfG, 1 BvR<br />

1090/06 vom 30.4.2007)<br />

Auch mangelndes Wissen über de versammlungsrechtlichen Regeln seitens der BeamtInnen kann<br />

nach BVerfG, 1 BvR 1090/06 vom 30.4.2007, Absatz 49 nicht als Entschuldigung angeführt<br />

werden:<br />

Die Kenntnis der Maßgeblichkeit versammlungsrechtlicher Regeln unter Einschluss der<br />

besonderen Voraussetzungen von Maßnahmen, die eine Versammlungsteilnahme unmöglich<br />

machen, kann von einem verständigen Amtsträger erwartet werden.<br />

Doch die Frage, die ich als Angeklagte - und nun <strong>Verfassungsbeschwerde</strong>führerin - in der<br />

Hauptverhandlung durch Beweisanträge aufwarf, wurde vom Amtsgericht in seiner Entscheidung


schlicht ignoriert.<br />

Diese rechtliche Bewertung schränkt jedoch nach Lepa, Manfred (1990): „Der Inhalt der<br />

Grundrechte, Bundesanzeiger Verlag in Köln die Grundrechte der Betroffenen“ in unzulässiger<br />

Weise ein:<br />

Die Rechtsanwendungsorgane haben die grundrechtsbeschränkenden Gesetze stets im<br />

Lichte der grundlegenden Bedeutung des Art. 8 GG im freiheitlichen demokratischen Staat<br />

auszulegen und sich bei ihren Maßnahmen auf das zu beschränken, was zum Schutz<br />

gleichwertiger Rechtsgüter notwendig ist. Dabei ist zu beachten, daß keineswegs jedes<br />

beliebige Interesse eine Grundrechtseinschränkung rechtfertigt. Dies bedeutet<br />

beispielsweise, daß Belästigungen, die sich zwangsläufig aus der Massenhaftigkeit der<br />

Grundrechtsausübung ergeben und sich ohne Nachteile für den Veranstaltungszweck nicht<br />

vermeiden lassen, Dritte im allgemeinen ertragen müssen (BVerfGE 69, 315 [349/353]).<br />

Der jeweils kurze Aufenthalt von KritikerInnen auf einer Baumerntemaschine und auf Bäumen im<br />

öffentliche zugänglichen Kelsterbacher Stadtwald in der Nähe des Rodungsgeländes ist eine<br />

Belästigung , die die FRAPORT AG und andere mögliche Betroffene hätten ertragen müssen. Doch<br />

selbst wenn darüber mangelnde Klarheit geherrscht hätte, hätte die Sachlage zunächst genau geprüft<br />

werden und Unsicherheiten aus dem weg geräumt werden müssen:<br />

(...) es handelt sich um Anforderungen der Erkennbarkeit und damit der Rechtssicherheit,<br />

deren Beachtung für die Möglichkeit einer Nutzung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit<br />

wesentlich ist. In Versammlungen entstehen häufig Situationen<br />

rechtlicher und tatsächlicher Unklarheit. Könnten Versammlungsteilnehmer nicht wissen, ab<br />

wann der Schutz der Versammlungsfreiheit endet und dürften sie gleichwohl wegen eines<br />

ihrer Ansicht nach von der Versammlungsfreiheit geschützten Verhaltens negativ<br />

sanktioniert werden, könnte diese Unsicherheit sie einschüchtern und von der Ausübung des<br />

Grundrechts abhalten. (BVerfG, 1 BvR 1090/06 vom 30.4.2007, Absatz 41)<br />

Polizei und Gerichte ließen hier das Versammlungsrecht jedoch vollständig unberücksichtigt. Bei<br />

der rechtlichen Bewertung der Handlungen der Angeklagten hätte das Gericht aber berücksichtigen<br />

müssen, dass die Angeklagte Teilnehmerin von Versammlungen gewesen ist.<br />

4. Verfahren nach § 313 StPO – Verstoß gg Art. 103 Abs. 1 GG<br />

Mein Verteidiger kündigte für mich in seinem schon vollständig zitierten Schreiben an, dass ich<br />

weitere Beweisanträge im Berufungsverfahren stellen werde. In solchen Fällen darf die Annahme<br />

der Berufung nur abgelehnt werden, wenn „an der Richtigkeit der bisherigen Feststellungen<br />

vernünftiger Weise keine Zweifel bestehen können“.<br />

BVerfG, Beschluss vom 18.05.1996 - 2 BvR 2847/95<br />

Das Tatbestandsmerkmal der Offensichtlichkeit in § 313 II 1 StPO ist bei Ankündigung<br />

neuer Beweisanträge nur dann erfüllt, wenn an der Richtigkeit der tatsächlichen<br />

Feststellungen vernünftigerweise kein Zweifel bestehen kann. Dies hat das Berufungsgericht<br />

zu begründen, wenn es die Annahme der Berufung ablehnt.<br />

Davon, dass an der Richtigkeit der bisherigen Feststellungen vernünftiger Weise keine Zweifel<br />

bestehen können, kann nach meiner Meinung keine Rede sein. Ich verweise auf meine sehr<br />

ausführlichen Ausführungen zum Sachverhalt (oben). Das Landgericht hat sich mit meinen<br />

Einwendungen gegen die Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen nicht befasst. Eine


entsprechende Begründung kann ich nicht erkennen.<br />

BVerfG, Beschluss vom 21.08.2001 - 2 BvR 1098/01<br />

In den Fällen, in denen ein Berufungsgericht die Berufung nach § 313 II StPO als unzulässig<br />

verwirft, gebietet es Art. 103 I GG, dass das Gericht sich mit dem Vorbringen des<br />

Beschwerdeführers, das eine Annahme der Berufung rechtfertigen könnte, auseinandersetzt.<br />

Meiner Meinung nach kann nicht davon die Rede sein, das Landgericht Frankfurt habe sich mit<br />

meinem Vorbringen auseinander gesetzt.<br />

– Das Landgericht ist nicht auf die Einwendungen gegen ein Verfahren nach § 313 StPO<br />

eingegangen (Schreiben vom 06.07.2010 – Seiten 1, 2).<br />

– Mit keinem Wort erwähnt das Landgericht die ausführlich vorgetragenen Bedenken gegen das<br />

Vorliegen wirksam gestellter Strafanträge (Schreiben vom 06.07.2010 – Ziffern 1. bis 14.).<br />

– Die gegen die Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen vorgebrachten Bedenken blieben zum<br />

ganz überwiegen Teil unerwähnt (Schreiben vom 06.07.2010 – Ziffer 15.):<br />

„... tatrichterlichen Feststellungen, die sich aus dem Urteil vom 15.04.2010 ergeben,<br />

werden von der Angeklagten wie folgt angegriffen:<br />

Soweit es um die Kletteraktion in Frankfurter Hauptbahnhof geht, befand sich die Angeklagte<br />

nicht in einer Höhe von etwa 6 m, als Feuerwehrkräfte, Sicherheitspersonal und<br />

Polizisten herbei gelaufen waren.Als die Einsatzkräfte erschienen, war die Angeklagte<br />

bereits etwa 10 Minuten am Klettern. In dieser Zeit legte die Angeklagte wesentlich mehr<br />

Höhenmeter zurück. Die Angeklagte befand sich zum Zeitpunkt des Erscheinens der<br />

Sicherheitskräfte in einer Höhe von ca. 15 m.<br />

Dazu wird die Angeklagte in der Berufungshauptverhandlung weitere Beweisanträge<br />

stellen.<br />

Das Urteil enthält die Feststellung, die Angeklagte habe auf ihr zugerufene Aufforderungen,<br />

unverzüglich vom Dach herunter zu steigen nicht reagiert. Vielmehr habe die Angeklagte<br />

das Klettern bis zum Ende des Tragebogens am Gleis 6 fortgesetzt.<br />

Diese Feststellungen sind unrichtig, weil sich die Angeklagte in Höhe des Gleises 4 befand.<br />

Die Angeklagte hörte die angeblichen Aufforderungen zum herunter steigen nicht. Zu diesem<br />

Themenkomplex stellte die Angeklagte in der Hauptverhandlung die Beweisanträge 2<br />

und 3. Diese Beweisanträge beinhalten das Gegenteil von dem, was das Gericht in seinem<br />

Urteil festgestellt hat. Dementsprechend hätten die Beweisanträge der Angeklagten nicht<br />

mit der Begründung zurückgewiesen werden dürfen, die Beweisthemen seien für die<br />

Entscheidung ohne Bedeutung.<br />

Die Angeklagte wird ihre diesbezüglichen Beweisanträge in der Hauptverhandlung wiederholen.<br />

Das gilt insbesondere für den Beweisantrag, dass die Angeklagte in der Höhe, in der<br />

sie sich befand, die angeblichen Zurufe schon akustisch nicht wahrnehmen konnte.<br />

Das Amtsgericht stellt fest, die Angeklagte habe am 23.01.2009 zusammen mit weiteren Personen<br />

einen das damalige Rodungsgebiet im Kelsterbacher Wald umschließenden Zaun<br />

überwunden. Diese Feststellung ist unzutreffend und widerspricht dem Inhalt des Beweisantrages<br />

mit der Nr. 9. Die Angeklagte wird diesen Beweisantrag in der Berufungshauptverhandlung<br />

wiederholen. Die Angeklagte musste keinen Zaun überwinden.


Die Angeklagte befand sich vor der Tat bereits im Wald. Sie hielt sich in einem Camp auf.<br />

Rund um das Camp, dass sich mitten im Wald befand, wurde ein Zaun aufgestellt. Die Aufstellung<br />

des Zauns erfolgt am 20.01.2009. Die Angeklagte befand sich zusammen mit den<br />

anderen Demonstranten seit etwa Mai 2008 auf dem Gelände. Natürlich hielt sich die Angeklagte<br />

dort nicht dauernd auf. Allerdings ist der Zaun zu einem Zeitpunkt errichten worden,<br />

als sich die Angeklagte in dem Camp aufhielt. Um in das Camp zu gelangen, mussten sie<br />

daher keinen Zaun überwinden. Vielmehr hätte sie den Zaun überwinden müssen, um das<br />

Camp zu verlassen.<br />

Die diesbezüglichen tatsächlichen Umstände ergeben sich z.B. auch aus der<br />

Gewahrsamsakte der Angeklagten. Zu diesen Umständen wird die Angeklagte in der<br />

Berufungshauptbehandlung neue Beweisanträge stellen.<br />

Entgegen den Feststellungen des Amtsgerichtes war das Rodungsgebiet nicht umfassend mit<br />

einem Zaun umgeben. Tatsächlich war ein solcher Zaun nicht überall vorhanden. So fand<br />

z.B. am 24.01.20009 eine Demonstration statt. Dies war am Tag nach der Harvesterbesetzung.<br />

Die Angeklagte nahm an dieser Demonstration persönlich teil. Auf dem Weg zum Demonstrationsort<br />

musste die Angeklagten keinen Zaun überwinden. Die Angeklagte lief mit<br />

den anderen Demonstranten einen Waldweg entlang. Die diesbezüglichen Umstände waren<br />

bereits Gegenstand des Beweisantrages mit der Nr. 9. Diesen Beweisantrag wird die Angeklagte<br />

in der Berufungshauptverhandlung wiederholen. Außerdem ist zu diesem Tatsachenkomplex<br />

mit weiteren und neuen Beweisanträgen der Angeklagten zu rechnen.<br />

Die Feststellung, der Arbeiter habe seine Arbeit nicht fortsetzen können, als er aus der<br />

Pause zurückgekehrt sei, ist willkürlich. Der betreffende Arbeiter ist in der entsprechenden<br />

Hauptverhandlung nicht gehört worden. Kein Zeuge, der in der Hauptverhandlung<br />

vernommen worden ist, hat entsprechendes bekundet. Die Hauptverhandlung ergab, dass<br />

der betreffende Arbeiter in der Zeit, als der Harvester besetzt worden ist, nicht anwesend<br />

war. Er soll sich in der Pause befunden haben. Es wurde nicht festgestellt, wann diese<br />

Pause endete. Insbesondere konnte nicht festgestellt werden, dass der Arbeiter die Absicht<br />

hatte, zu seinem Arbeitsfahrzeug zurückzukehren, um seine Arbeit fortzusetzen. Schon gar<br />

nicht wurde festgestellt, dass er daran durch die Besetzung des Harvesters gehindert<br />

gewesen ist.<br />

Die Angeklagte wird zu diesen Beweisthemen in der Hauptverhandlung neue Beweisanträge<br />

stellen und außerdem darauf bestehen, dass der dazu schon in der Anklageschrift benannte<br />

Zeuge Liviv Bontea geladen und in der Berufungsverhandlung vernommen wird.<br />

Soweit das Amtsgericht festgestellt hat, die Angeklagte sei durch die Polizeibehörde auf der<br />

Grundlage von § 32 I HSOG in Gewahrsam genommen worden, ist diese Feststellung<br />

falsch. Die Inhaftierung der Angeklagten erfolgte auf der Grundlage der Strafprozessordnung.<br />

Soweit es in dem Urteil heißt, die Angeklagte habe sich am 11.02.2009 erneut mit 6 weiteren<br />

Personen in das Gebiet des Kelterbacher Waldes begeben, wobei sie wiederum einen Zaun<br />

überwunden habe, ist dies falsch. Die Feststellungen widersprechen dem Inhalt des Beweisantrages<br />

mit der Nr. 9. Die Angeklagte wird diesen Beweisantrag in der Hauptverhandlung<br />

wiederholen und außerdem neue Beweisanträge zu diesem Thema stellen. Die Angeklagte<br />

musste keinen Zaun überwinden, um auf das Gelände zu gelangen. Die Angeklagte befand<br />

sich auf dem Gelände. Sie hielt sich im Camp auf, bevor sie an der Demonstration teilnahm.<br />

Sie musste einen Zaun überwinden, um das Camp verlassen zu können.


Abwegig ist die Feststellung des Tatrichters, die Angeklagte habe bestritten, sich am<br />

11.02.2009 im Kelsterbacher Wald aufgehalten zu haben. Die Angeklagte verweigerte in der<br />

Hauptverhandlung die Angaben zur Sache.<br />

Der Tatrichter stellt in dem angefochtenen Urteil fest, die Angeklagte sei nicht vom Dach<br />

der Maschine herunter gestiegen. Außerdem habe sie das Anlegen einer Leiter an der Maschine<br />

zu verhindern versucht. Diese Feststellung ist willkürlich und falsch. In der Hauptverhandlung<br />

sind die Videoaufzeichnungen in Augenschein genommen worden. Die Angeklagte<br />

verhinderte nicht das Anlegen der Leiter an die Maschine, sondern das Anlegen der<br />

Leiter an ihren Körper. Zum Beweis dieser Tatsache wird die Angeklagte weitere Beweisanträge<br />

stellen, insbesondere, dass die diesbezüglichen Videoaufzeichnungen nochmals in Augenschein<br />

genommen werden. Außerdem gibt es eine Vielzahl von Polizeizeugen und neutralen<br />

Zeugen, die die Richtigkeit der diesbezüglichen Angaben der Angeklagten bestätigen<br />

können.<br />

Der Tatrichter stellt weiterhin in seinem Urteil fest, das Betreten der Halle des Frankfurter<br />

Bahnhofs zum Zwecke des Erkletterns der Dachkonstruktion sei gegen den Willen des Berechtigten<br />

und damit widerrechtlich erfolgt. Dies ist sowohl in tatsächlicher als auch in<br />

rechtlicher Hinsicht unrichtig (vergleiche dazu Fischer, StGB, 57. Auflage, RZ 12 zu § 123<br />

unter Hinweis auf BayObLG, Urteil vom 14.09.1976, - 3 St 99/76, NJW 1977, 261 sowie<br />

OLG Hamburg NStZ 2005, 276).<br />

Die Angeklagte erreichte die Halle des Frankfurter Hauptbahnhofes mit der S-Bahn. Nach<br />

dem Beklettern der Dachkonstruktion verließ die Angeklagte den Hauptbahnhof ebenfalls<br />

wieder mit der S-Bahn. Nach den Feststellungen des Tatrichters ist der Angeklagten zu keinem<br />

Zeitpunkt bzgl. des Frankfurter Hauptbahnhofes ein Hausverbot erteilt worden.<br />

Die Verteidigung geht davon aus, dass es sich bei der Halle des Frankfurter Hauptbahnhofs<br />

um einen Raum handelt, der zum öffentlichen Verkehr bestimmt ist. In diesem Raum drang<br />

die Angeklagte nicht widerrechtlich ein. Die verweilte darin auch nicht unbefugt. Die diesbezüglichen<br />

Annahmen des Tatgerichts sind sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher<br />

Hinsicht nicht nachvollziehbar. ...“<br />

– Die von mir angekündigten Beweisanträge für die Berufungsinstanz ignorierte das Landgericht<br />

Frankfurt (Schreiben vom 06.07.2010 – Ziffer 15., 16.):<br />

„... Feststellung, der Arbeiter habe seine Arbeit nicht fortsetzen können, als er aus der<br />

Pause zurückgekehrt sei, ist willkürlich. Der betreffende Arbeiter ist in der entsprechenden<br />

Hauptverhandlung nicht gehört worden. Kein Zeuge, der in der Hauptverhandlung<br />

vernommen worden ist, hat entsprechendes bekundet. Die Hauptverhandlung ergab, dass<br />

der betreffende Arbeiter in der Zeit, als der Harvester besetzt worden ist, nicht anwesend<br />

war. Er soll sich in der Pause befunden haben. Es wurde nicht festgestellt, wann diese<br />

Pause endete. Insbesondere konnte nicht festgestellt werden, dass der Arbeiter die Absicht<br />

hatte, zu seinem Arbeitsfahrzeug zurückzukehren, um seine Arbeit fortzusetzen. Schon gar<br />

nicht wurde festgestellt, dass er daran durch die Besetzung des Harvesters gehindert<br />

gewesen ist. Die Angeklagte wird zu diesen Beweisthemen in der Hauptverhandlung neue<br />

Beweisanträge stellen und außerdem darauf bestehen, dass der dazu schon in der<br />

Anklageschrift benannte Zeuge Liviv Bontea geladen und in der Berufungsverhandlung<br />

vernommen wird. ...<br />

Die Angeklagte beabsichtigt außerdem schon in diesem Schriftsatz erwähnten weiteren


Beweisanträgen neue Beweisanträge zu stellen.<br />

Zu diesen neuen Beweisanträgen gehört unter anderem, dass die politischen<br />

Versammlungen gegen den Flughafenausbau in einem Wald stattfanden, auf den das<br />

Bundeswaldgesetz anwendbar ist. Die Angeklagte wird den Nachweis führen, dass aufgrund<br />

der Umstände der Wald frei betreten werden durfte (§ 14 Bundeswaldgesetz).<br />

Noch näher eingehen wird die Angeklagte in einem neuem Beweisantrag auf die Lage des<br />

Widerstandscamps. Das Dorf befand sich in der Mitte des Kelsterbacher Waldes. es bestand<br />

seit Ende Mai 2008. Bis zum 20.01.2009 befand sich im Kelsterbacher Wald kein Zaun.<br />

Dieser ist rund um das Widerstandsdorf am 21.01.2009 errichtet worden. Die<br />

Bewohnerinnen bzw. Bewohner des Widerstandsdorfes, unter denen sich auch die<br />

Angeklagte befand, hielten sich bereits in dem Camp auf, bevor das Gelände eingezäunt<br />

worden ist.<br />

Rein vorsorglich beabsichtigt die Angeklagte auch einen Beweisantrag dahin zustellen, dass<br />

es sich bei dem Frankfurter Hauptbahnhof nicht um einen geschlossenen Raum handelt.<br />

Dieser ist vielmehr frei zugänglich. Er ist zum öffentlichen Verkehr bestimmt. ...“<br />

Nach den zitierten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts steht fest, dass durch fehlerhaft<br />

Anwendung des § 313 StPO mein Grundrecht Gewährung auf rechtlichen Gehörs verletzt worden<br />

ist.<br />

<strong>Cécile</strong> <strong>Lecomte</strong><br />

<strong>Verfassungsbeschwerde</strong>führerin<br />

Anlagen: Alle in dieser <strong>Verfassungsbeschwerde</strong> genannten Dokumente<br />

1) Urteil vom Amtsgericht 15.04.2010<br />

2) Begründungsschreiben der Verteidigung im Annahmeberufungsverfahren vom 06.07.2010<br />

3) Beschluss vom Landgericht vom 24.08.2010<br />

4) Anhörungsrüge vom 02.09.2010<br />

5) gestellte Beweisanträge zur Versammlungsgesetz (Nr. 9 und 12)<br />

6) gestellte Beweisanträge zum rechtfertigenden Notstand (Nr. 13 ; 14 ; 15; 16 ; 18 ; 19 ; 20)<br />

7) gestellter Beweisantrag zum Ziel der Handlung (Nr. 11)

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