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Lubmin: Proteste im Schneetreiben

Foto: Jens Büttner/ dpa

Castor nach Lubmin Mini-Gorleben in eisiger Kälte

In Gorleben blockierten Tausende den Castor. Da kommt Lubmin in Mecklenburg-Vorpommern nicht mit: Schnee und eisige Kälte erschwerten der kleinen Demonstrantenschar den Protest. Trotzdem kam es zu ganz erheblichen Verzögerungen, bis der Atommüll-Transport sein Ziel erreichte.

Alwina zieht ihre rote Wollmütze noch ein Stück weiter ins Gesicht. Es ist halb Fünf, also ganz früh am Morgen. Der Atem kondensiert ihr vor der Nase. In drei Zelten und rund um ein Lagerfeuer in Vierow, einem kleinen Ort zwischen Greifswald und Lubmin, drängen sich knapp hundert Menschen und frieren.

"Ich habe zwei Strumpfhosen und zwei Hosen an", sagt die 20-jährige Abiturientin. Sie zittert. Mit den anderen warten sie auf Nachricht vom Castor-Transport. Wenn der in der Nähe ist, wollen sie sich auf die Gleise setzen - so wie im Wendland, wo vor fünf Wochen 9000 Menschen einen Atommüll-Transport blockiert hatten.

Alwina, die auch in Gorleben dabei war, bindet sich mit Klebeband eine zerschnittene Rettungsdecke um die Beine. Das soll gegen den Schnee helfen, der mehrere Zentimeter hoch liegt, und etwas Wärme liefern.

Zu den bisherigen Atommüll-Transporten in das Zwischenlager Lubmin kamen nur eine Handvoll Demonstranten. Doch diesmal ist es anders. Dass die Regierung den Atomausstieg rückgängig gemacht hat, macht Alwina und ihre Mitstreiter wütend. "Es ist West-Müll, der in ein Ost-Lager kommt", schimpft der 24-jährige Student Tim. Das sei nie geplant gewesen, die Menschen in Mecklenburg-Vorpommern fühlten sich deswegen betrogen - jedenfalls die Demonstranten, überwiegend Studenten aus Greifswald, viele von ihnen Zugezogene.

In der Nacht zu Donnerstag treffen sich mehrere hundert von ihnen zu Mahnwachen wie der in Vierow, unter ihnen auch Alwina, Tim und ihre Freunde. Die Dorfbewohner gucken skeptisch, weil einer von ihnen den Demonstranten Platz auf seinem Grundstück gegeben hat. Im Wendland macht ein Großteil der Bevölkerung seit Jahrzehnten bei den Demos gegen Castor euphorisiert mit - vom Bauern bis zum Baron. An der Ostsee nicht.

Dann wird es hell. Sieben Stunden später als geplant, um elf Uhr, ist der Castor in der Nähe. Über ein schneebedecktes Feld rennen die mehr als hundert Menschen auf die Castor-Gleise zu. Von zwei anderen Mahnwachen kommen jeweils ebenso viele hinzu. Ein paar Polizisten stellen sich vergeblich in den Weg. Dann sitzen sie da: knapp 300 junge Menschen, denen Schnee um die Ohren weht.

"Es gibt 13.000 Studenten in Greifswald", sagt Tim. "Eigentlich müssten wir doch viel mehr Atomkraft-Gegner sein." Er verteidigt den vergleichsweise winzigen Protest mit den eisigen Temperaturen und fehlender Mobilität der fahrradfahrenden Kommilitonen. Alwina und Tim sitzen sich gegenüber, auf Strohsäcken. Tim atmet in seinen Schal und reibt sich die Hände. Hinter ihnen baut sich ein Polizist aus Nordrhein-Westfalen auf.

Rund 4000 Beamte sollen in der Region im Einsatz sein. Umweltorganisationen haben weitere Blockaden entlang der Strecke installiert, über den Sitzenden kreist ein Hubschrauber. Mehr als zwei Stunden dürfen sie hocken bleiben - dann sind mehr als dreihundert Einsatzkräfte vor Ort. Zu viert schleppen die Polizisten die Castor-Gegner jeweils von den Bahngleisen und einen steilen, verschneiten Abhang hinauf. Ihre grünen und blauen Uniformen färben sich dabei weiß, ihre Gesichter knallrot.

Es sind Minus vier Grad, Schneeböen quälen die Gesichter. Da hilft auch keine wollene Mütze. Dutzende Demonstranten haben vorher freiwillig aufgegeben. Es ist nicht nur die Kälte: Wer weggeräumt wird, soll später ein Bußgeld bezahlen. Alwina, Tim und ihre Freunde wollen das in Kauf nehmen. Sie lassen sich tragen, immer wieder stolpern die Polizisten dabei, müssen sich gegenseitig stützen.

Aktivisten blockieren Castor-Strecke

Wie die anderen muss Alwina ihren Ausweis vor eine Kamera halten, dann führen sie zwei Beamte in einen Kessel aus Polizisten, mitten auf dem Feld. So soll verhindert werden, dass sich die Demonstranten erneut auf die Gleise setzen. Die Räumung verläuft ruhig und ohne Zwischenfälle.

"Alles absolut friedlich, nirgendwo Krawall", sagt ein Polizeisprecher mit Castor-Erfahrung, der aus Niedersachsen herbeordert wurde. Allerdings sei das Blockieren der Strecke natürlich illegal, das Wetter mache das Ganze zu einer extremen Situation, die es so wohl noch nicht gegeben habe.

Auch die weggetragenen Blockierer beklagen sich nicht, zumindest nicht über das Vorgehen der Beamten. Nur die Gefangenen-Sammelstelle unter freiem Himmel geht den Übernächtigten und Durchgefrorenen dann doch zu weit. "Das ist doch illegal", sagt Alwina. Immerhin: Nach einer Stunde werden sie in Busse verfrachtet und abtransportiert.

Nur wenige Kilometer vor dem Ziel in Lubmin stockte derweil der Castor-Transport wegen einer Blockade zweier Atomkraftgegner: Zwei Aktivisten der Aktionsgemeinschaft Robin Wood hatten sich am Nachmittag mit einer Betonkonstruktion im Gleisbett festgekettet. Sie verzögerten die Ankunft des Zuges um rund sechs Stunden: Erst kurz vor 22 Uhr erreichte er nach knapp zweitägiger Fahrt aus Südfrankreich das Zwischenlager Nord.